Es war wie früher. Fiebrig vor Aufregung ging ich gestern zum Kiosk, denn der 8. Dezember 2006 sollte der Tag sein, an dem mein Lieblingsheft der 90er Jahre zurückkehren würde. Für eine Ausgabe. Tempo. 1986 gegründet, 1996 eingestellt. Eine Zeitschrift, wie es sie heute leider nicht mehr gibt (mehr spannende Hintergründe im Zünder). Edelfedern wie Peter Glaser, Marc Fischer, Christian Kracht, Thomas Hüetlin, Uwe Kopf und Maxim Biller schrieben für das Blatt, Fotografen wie Wolfgang Tillmanns, die in ihrer Branche heute Weltruhm genießen, veröffentlichen ihre ersten Bilder in Tempo. Das Heft kaufte ich damals mit der gleichen Gespanntheit wie als Kind die Stickertüten von Panini zur jeweils laufenden Bundesligasaison. Wer als Kind jemals versucht hat, ein Stickerheft lückenlos vollzukleben, weiß, was das bedeutet.
Und so nahm ich gestern andächtig ein Heft vom Stapel, erstaunt darüber wie schwer es war. Knapp 400 Seiten. Jede Menge großformatige Anzeigen. Nur ein Bruchteil dieses Anzeigenvolumens und Tempo wäre niemals eingestellt worden. Aber wie schreibt es Chefredakteur Markus Peichl in seinem Editorial: “ Wir haben das Heft in gerade mal neun Wochen konzipiert, entwickelt und umgesetzt. … Wir wurden getragen von einer Welle der Zustimmung, Ermunterung, Erwartung – fast schon so groß, dass man jedem Blatt nur wünschen kann, es möge schnell das Zeitliche segnen, um als Neugründung mal richtig geliebt zu werden.“ Da muss ich Peichl widersprechen. Ich habe Tempo immer geliebt. Und es gibt viele Blätter die niemals geliebt werden. Lebendig nicht und wiederbelebt erst recht nicht. Okay, Peichl hat „fast“ geschrieben.
Und noch etwas ist wie früher: In der Ausgabe gehen die Kulturthemen an kulinarische Dingen vorbei. Obwohl zumindest Uwe Kopf heute ja auch als Gastronomiekritiker unterwegs ist. Früher dachte ich immer: Diese Redakteure und Autoren von Tempo sind wie Computer Nerds, die den ganzen Tag vor ihrer Kiste sitzen (oder der Schreibmaschine wie Uwe) und nur Dinge essen, die so flach sind, dass sie sich unter einer Tür herschieben lassen, damit sie beim Schreiben nicht gestört werden. Mag sein, dass mein Faible für gutes Essen verhindert hat, dass ich ein wirklich guter Schreiber werde. Jedenfalls ist dieses eine Heft aus der Sicht eines Fans zweifellos anbetungswürdig. Es zeigt allen Blattmachern von heute, wie das geht, ein aufregendes Heft zu machen. Ein Magazin, das den richtigen Rhythmus hat. Wie wichtig es für das Gelingen eines Blattes ist, einen solchen Rhythmus zu komponieren, scheint heute immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Peichl jedenfalls weiß wie es geht. Und er bringt mit Kate Moss das Role Model der 90er Jahre auf den Titel. Ein Cover, das auf mich seltsam ironisch gewirkt hat. Ich habe spontan gelacht, als ich draufschaute. Kate Moss, die Heldin der Tempozeit, die noch nicht peinlich geworden ist. Thomas Hüetlin widmet ihr eine unbedingt lesenswerte Geschichte.
So erfrischend klug, klar und leidenschaftlich ist dieses Heft, dass ich mir ganz komisch vorkomme, wenn ich heute mit umständlichen Sätzen auf Kuschelkurs mit Kerner gehe. Tröste ich mich einfach damit, dass Peichl heute Chefredakteur bei „Beckmann“ ist bzw. bis vor kurzem war, wie ich gerade höre.