Gourmet oder Foodie – gibt’s da einen Unterschied? Ja, und was für einen!

Ich habe mich nie gerne als Gourmet bezeichnen lassen, denn in meiner Vorstellung sind die Gourmets von heute zu Apparatschiks eines elitären Ernährungssystems verkommen. Gebührenden Sicherheitsabstand zu kritischem, unabhängigen Denken haltend, gaukeln sie dreist Weltoffenheit vor, stellen in Wahrheit aber ein moralisch überlegenes Essbewusstsein zur Schau, das auf phantasielosen Snobismus gründet. Ich weiß, dass ich damit ungefähr hundert Lichtjahre an der enzyklopädischen Wirklichkeit vorbeidefiniere und vielleicht einen Sturm der Entrüstung provoziere, aber so sehe ich das nun mal. Ich kenne nämlich meine Pappenheimer.
Gourmets haben eine starke Abneigung gegen Fernsehköche entwickelt, die ihnen angeblich viel zu simpel kochen. Doch das ist nicht der wahre Grund ihrer Aversion. Sie ärgert der Umstand, dass diese Köche ihre elitäre Welt fürs gemeine Fußvolk öffnen, ihm (dem Fußvolk) vielleicht sogar noch beibringen, wie anspruchsvoll gekocht und gegessen werden kann. Ja, wo kommen wir denn hin, wenn jeder Depp schon mal was von Daikonkresse gehört hat, nur weil es Mario Kotaska via Kochen bei Kerner in die Welt posaunte und das Zeug über marinierte Langustini streute. Wenn außerdem jeder mit Sinn und Verstand kochen und essen würde, könnte sich der Gourmet auch gar nicht mehr über das desaströse Essverhalten großer Bevölkerungsgruppen mokieren. Er, der Gourmet, würde überflüssig, verschlungen vom Fußvolk, das jetzt genauso gut isst wie er.
Aber so weit ist es noch lange nicht. Und so kann der Gourmet weiterhin bestreiten, dass Jamie Oliver der zur Zeit bedeutendste Koch der Welt ist. Und sich in seiner Abneigung gegenüber Fernsehköchen suhlen, wenn Jamies Kumpel Tim Mälzer mal zu Miracoli greift. Dabei kocht Mälzer besser als 99 Prozent aller Gourmets, die über ihn meckern. Okay, sagen wir 99,9 Prozent. Doppelschwör!
Die meisten Gourmets ziehen auch gegen die Molekularküche zu Felde. Mit patentierter kulinarischer Ahnungslosigkeit stellen sie das wissenschaftlich basierte Kochen als chemische Keule dar, die traditionelle Werte vergiften und unser Essen zur Astronautenkost niederknüppeln würde, nur weil sie mal in einem Fernsehbericht gesehen haben, wie Köche mit Stickstoff hantieren oder Pülverchen in Saucen versenken. Was ungefähr so kennzeichnend für die Molekularküche ist wie der Einwurf für das Fußballspiel. Wie selbstverständlich trinken diese Gourmets Weine, die unter Einsatz von Hightech vinifiziert wurden und deren Macher ein Studium der Oenologie absolvierten. Aber Hightech und Wissenschaft beim Kochen? Das geht natürlich zu weit.
Auch die Unaufgeschlossenheit, gepaart mit einem seltsamen Produktfetisch, geht mir bei vielen Gourmets auf den Sender. Olivenöl – nur aus Ligurien. Balsamico – nur Extra Vecchio. Abgesehen davon, dass dieses unbestritten hochwertige Zeug für Ottonormalverbraucher oft unerschwinglich ist, dokumentiert der Produktfetisch kulturelles Abgrenzungsverhalten gegenüber den minderwertiger Essenden. Mein Haus, mein Auto, mein Balsamico.
Und die Foodies? Sind in ihrem Essverhalten aufgeschlossen, unverbissen, aber keineswegs beliebig. Jamie Oliver ist das Role Model dieser Bewegung. Der Begriff foodie wird in der englischsprachigen wikipedia-Version als eine von den Autoren Gael Greene und Paul Steuer und Ann Barr (Foodie Handbook, 1984) geprägte Bezeichnung für Menschen mit ausgeprägter Lust am Kochen und Essen beschrieben, die sich selber aber nicht für Feinschmecker halten. Von der kompletten Begriffsdefinition bei wikipedia bin ich nicht überzeugt, weil sie mir zu unscharf erscheint. Auch foodies suchen nach besten Produkten, tun das aber in allen Bereichen und allen Preisklassen. Welcher Gourmet würde sich schon ernsthaft auf die Suche nach der besten Fertigpizza machen?
Als ich neulich von den Vorkommnissen beim G8-Gipfel las und mitbekam, dass die Demonstranten vor Ort in Gewissensnöte getrieben wurden, weil sie – hungrig bis unter die Sturmhaube – nur noch bei einer ihnen verhassten Fastfoodkette Essen bekamen, fragte ich mich, was ich wohl gemacht hätte. Also erst mal hätte ich mir Vorräte mitgenommen. Couscous-Salat, Frikadellen, belegte Brote. Ganz altmodisch im Tuppertopf verpackt. Aber wenn die Vorräte aufgebraucht gewesen wären, wäre ich auch eingefallen in diesen Fastfoodladen. Ganz sicher. Ich kann also kein Gourmet sein. Ein Gourmet wäre draußen geblieben und am Ende verhungert.

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