stern reitet unseriöse Attacke gegen Ferran Adrià und Co.

Man nehme einen profilsüchtigen, übergewichtigen Koch, gebe ein paar halbgare und falsche Informationen sowie eine Portion Vorurteile dazu und rühre damit das jüngste Gericht über molekular inspirierte Küche an: Dünnpfiff für fünf Personen titelt der wegen seiner journalistischen Qualität ansonsten von mir sehr geschätzte stern in seiner aktuellen Ausgabe und zieht gegen die Nutzung von Texturgebern zu Felde. Allerdings mit herzlich wenig Sachverstand.
Autor Jörg Zipprick agiert in seinem Beitrag mit der Bissigkeit eines Schäferhundes, der eine Dose Deutschländerwürstchen verteidigt, um das, was er Molekularküche nennt, zu diskreditieren. Da ist seine Behauptung, bisher sei „höchst unklar“ gewesen, was Ferran und Co. in ihren Rezepturen überhaupt verarbeiten würden. Was natürlich nicht stimmt. Wenn der Autor nur einen Funken Interesse an einem sauberen Beitrag gehabt hätte, wäre es ein Leichtes gewesen herauszufinden, dass Ferran seit 1983 nahezu alle seine Rezepte nach Jahrgängen geordnet in umfangreichen Dokumentationsbänden veröffentlicht, erhältlich in Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch. Band 3 gibt es inzwischen auch in Japanisch. Ich vermute, die Informationen darüber wurden unter den Tisch fallen lassen, weil die Story sonst nicht rund geworden wäre. Kann mir auch nicht vorstellen, dass die Dokumentation des stern hier keinen Alarm geschlagen hat. Viele der anderen Spitzenköche, die mit Texturgebern arbeiten, veröffentlichten ihre Rezepte in den letzten Jahren übrigens hier. Auch das ist wahrlich kein Geheimnis.
Und dann diese perfide, unterschwellige Behauptung, im Gegensatz zu Ferran Adrià würde sein Landsmann Santi Santamaria mit „perfekten Zutaten anderer Art“ kochen wie „tagesfrischer Fisch, zartes Lamm, saftige Rinderkoteletts“. Kaum ein Koch hat in den vergangenen Jahren so viel Achtsamkeit gegenüber Produktwertigkeit eingefordert und praktiziert wie Ferran Adrià. Ihn jetzt faktisch als Apotheker hinzustellen, ist in höchstem Maße unseriös.
Welche Gefahr ein Zusatzstoff wie E 953 auslöst, muss vom Autor natürlich auch noch dargelegt werden. Mit dem journalistisch blitzsauberen Verweis auf „einschlägiges Medizinerwissen“ wird behauptet, ab einer gewissen Menge könnte E 953 zu Durchfall führen. Vielleicht hätte er mal erwähnen sollen, was Isomalt überhaupt ist. Dem Leser wäre geholfen gewesen. Isomalt, auch Palatinit, ist ein Zuckeraustauschstoff, der vorwiegend in diätischen Lebensmitteln eingesetzt wird. Er ist zahnfreundlich und besitzt kaum Wirkung auf den Blutzucker- und Insulinspiegel. Bewertung von ökotest: Gesundheitliche Bedenken bestehen nicht. Die Sicherheit von Isomalt wurde vom Joint Expert Committee on Food Additives (JECFA) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) überprüft, und es wurde festgestellt, dass keine mengenbezogene Einschränkung nötig ist. Wer über die Gefährlichkeit von Isomalt schwadroniert, müsste hinter jedes Rezept, das Haushaltszucker enthält, ein Totenkopfsymbol setzen, denn der ist um ein Vielfaches gefährlicher.
Tatsächlich gibt es Zusatzstoffe, über deren Einsatz man ernsthaft streiten kann, wie die vom Autor erwähnte Transglutaminase. Doch auch hier wird verschwiegen, was sich hinter der Bezeichnung tatsächlich verbirgt. Ich zitiere mal aus dem Glossar unseres in wenigen Tagen erscheinenden Buches Verwegen kochen: „Transglutaminasen sind eine Varietät aus dem Bakterium der Streptoverticillium mobaraense, hergestellt durch Fermentation. Es sind in der Natur weit verbreitete Enzyme mit vielseitigen Fähigkeiten. Sie sind an fast allen physiologischen Prozessen des menschlichen Körpers, unter anderem der Wundheilung beteiligt. Als Texturgeber eingesetzt, verbessern sie die physikalischen Eigenschaften vieler in Lebensmitteln vorkommender Eiweiße. Transglutaminasen verfügen über eine hohe thermische Stabilität und hohe Vernetzungseigenschaften für Gluten, Eigelb und Eiweiß in einem weiten ph-Wert-Spektrum.“
Damit lass‘ ich es jetzt auch mal gut sein, obwohl der Beitrag noch weitere Ungereimtheiten aufweist, und ich mich auch über das extrem kurze, und meiner Vermutung nach aus dem Zusammenhang gerissene Zitat von Werner Mlodzianowski vom TTZ Bremerhaven wundere: „Kein Koch hat hier etwas erfunden“. Wobei, auf den Anlass des Beitrags muss ich auch noch eingehen, nämlich das Erscheinen eines Buches von einem spanischen Koch namens Santi Santamaria, der gegen Adrià zu Felde zieht und den der Autor ob seiner angeblichen Fähigkeiten in den Kocholymp hievt. Tatsächlich findet er sich dort aber gar nicht, sondern fast ausschließlich Köche, die den neuen wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten gegenüber sehr aufgeschlossen sind. Sie alle arbeiten auch mit Texturgebern. Guckst du hier.
Was mich an der Debatte um die molekular inspirierte Avantgardeküche nervt, ist nicht die Kritik an dieser Art zu kochen, die vieles geliert und aufschäumt, was nun wirklich nicht jedermanns Sache ist (so eine Kritik könnte ich nachvollziehen) sondern diese undifferenzierte, vor Unwissenheit strotzende Ablehnung, die wissenschaftlich basiertes Kochen zum Essen aus dem Chemiebaukasten herabwürdigt.

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