Jamie Oliver rechnet ab: Essen in afrikanischen Slums besser als in England

Da hat mein televisionärer Lieblingskoch mal wieder einen rausgehauen. Der französischen Zeitschrift Paris Match sagte Jamie Oliver in einem Interview, dass er die Küche in den Slums von Soweto für reichhaltiger halte als die der Engländer. Er beklagt auch, dass 80% aller Familien in seinem Land nicht mehr zum Essen gemeinsam am Tisch sitzen und sich nur noch für dicke Autos, teure Handys und Saufgelage in Pubs interessieren würden. Und Kinder könnten heute kaum noch mit Messer und Gabel essen.
Neben der Schelte für die Essgewohnheiten seiner Landsleute berichtet er auch noch von seiner Abneigung gegenüber Sterneküche, derer er müde geworden sei. Er respektiere zwar die harte Arbeit der Spitzenköche und könne auch den fantastischen Geschmack der Gerichte würdigen, aber diese Art Küche berühre ihn kaum noch, sagt er. Statt dessen favorisiere er gute Hausmannskost. Höchstens vier bis fünfmal pro Jahr ginge er noch in ein Spitzenrestaurant. Vor dem Hintergrund, dass Jamie Oliver sich einen Besuch dort locker täglich zum Lunch und Dinner leisten könnte, ist das tatsächlich sehr wenig.
Lässt sich Jamies Kritik auch auf die Esskultur in Deutschland übertragen? Ich denke, auf jeden Fall. Vor allem der Trend zum Unterwegsessen, neudeutsch to go, unterfüttert nicht mehr nur durch Imbissbuden und Burgerfilialen sondern durch eine schier unglaublichen Anzahl aufgemotzter Bäckereien macht das deutlich. Natürlich tragen die Veränderungen in der Arbeitswelt, die für viele Menschen notwendige Annahme mehrerer Jobs und das Arbeiten zu unterschiedlichsten Zeiten dazu bei, dass gemeinsames Kochen und Essen in der Familie zu einem aussterbenden Ritual zu werden scheint. Gleichwohl ließe es sich machen, wenn Essen eine größere Wertschätzung genießen würde, aber das tut es nur für einen immer kleiner werdenden Teil unserer Gesellschaft. Die Wichtigkeit von Essen als Kulturgut von enormer sozialer Tragweite, nicht zuletzt in Bezug auf die Förderung der Kommunikation in den Familien, wird nur noch von ein paar einsamen Rufern in der wachsenden kulinarischen Wüstenlandschaft angemahnt. Ich bin froh, dass es Leute wie Jamie gibt, die nicht müde werden, für eine Esskultur mit relevanter sozialer Komponente zu streiten.

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