Nationales Präventionsprogramm Alkohol

Der geschätzte Kollege Mario Scheuermann hat durchgeladen und feuert in seinem drinktank blog aus gegebenem Anlass mal wieder gegen das von der Bundesregierung geplante Alkoholwerbeverbot, das Teil des im Juni beschlossenen Nationalen Präventionsprogramms Alkohol ist. Höchste Zeit, sich das Ganze mal genauer anzuschauen.
Unbestritten ist die Förderung der Alkohlabstinenz bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres, die sich die Bundesregierung in Ziel 1 des Präventionsprogramms auf die Fahne geschrieben hat, eine unterstützenswerte Angelegenheit. Die negativen gesundheitlichen Folgen von Alkoholkonsum im Jugendalter sind weitestgehend unumstritten. Dazu kommt eine unerfreuliche Tendenz: Laut einer Studie der Universität Leipzig verdreifachte sich seit 2003 die Zahl der Jugendlichen, die mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Welt Online berichtete im Februar 2008 darüber.
Was die Bunderegierung jedoch in ihrem Maßnahmenkatalog vorlegt, zeigt mal wieder die ganze Hilflosigkeit der Politik, denn der Katalog listet unter Ziel 1 nur kampagnenhaft angelegte Punkte auf, die lediglich Appell- und Aufklärungscharakter haben. Wer nach Ansätzen sucht, die tiefer gehen, sucht vergeblich. Ein Blick in das von der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover (KKH) herausgegebene Weißbuch Stress macht klar, an welchen Punkten tatsächlich gearbeitet werden muss, nämlich an der Situation in den Schulen und an der Bildungsqualität. Die Wertschätzung des Einzelnen und ein angenehmes Schulklima sind Aspekte, die mit Kampagnen nicht zu wuppen sind. Alkohol, im Übermaß genossen, ist nun mal ein Frustrationskompensierer und dient bei Jugendlichen noch dazu als Chance, Anerkennung zu erhalten, die sie zu Hause und in der Schule nicht bekommen.
Ich bin zu faul zum Rechnen, aber es sind sicher eine stattliche Zahl Lehrerstellen, die alleine mit dem für die Kampagne verbratenen Geld geschaffen werden könnten. Auch einiges an dringend benötigter Ausstattung sollte dafür zu haben sein. Natürlich sind Kampagnen für Politiker besonders interessant, weil sie damit ihr Handeln öffentlichkeitswirksamer darstellen können. Aber ist es auch in der Sache wirkungsvoller? Ich denke, nein.
Ziel 2 des Aktionsprogramms: Maßvoller Alkoholkonsum bei jungen Menschen, Minimierung des Rauschtrinkens. Ein merkwürdiges Ziel. Abstinente junge Menschen sollen also lernen, wie maßvoll getrunken wird, oder was? Okay, das steht konkret nicht drin, dafür aber unter Punkt 2.5., dass Maßnahmen zur Alkoholprävention für Spätaussiedlergruppen eingeleitet werden sollen.
Ziel 3: Motivation und Gewinnung der Bevölkerung für risikoarmen Konsum. Darunter, natürlich, wieder eine Kampagne. Nämlich mit Prominenten zur Entwicklung und Stabilisierung eines Problembewusstseins. Mir fallen tatsächlich einige Prominente ein, die dringend Stabilisierung benötigten. Ausgerechnet die sind oft am coolsten.
Ziel 4: Erhöhung der ärztlichen Kurzintervention bei Patienten mit riskantem oder abhängigem Alkoholkonsum. Darunter: Präventionsangebot für Obdachlose. Himmel, ist das eine bittere Ironie.
Ziel 5: Maßnahmen zum breitenwirksamen Verzicht auf Alkohol in der Schwangerschaft und beim Stillen, bei der Arbeit, im Straßenverkehr, beim Sport und während der Wirkung von Medikamenten, zur Vermeidung von
Mischkonsum
. Ohne Worte.
Ziel 6: Senkung des Alkoholkonsums durch gesetzliche Maßnahmen. Und hier wird’s dann richtig interessant. In der Überlegung sind:
– Warnhinweise auf alkoholischen Getränken
– Untersagung von Werbung für Alkohol vor 20 Uhr in Kinos analog Tabakgesetz
– Fortschreibung des §15 der sogenannten „Fernsehrichtlinie“ (89/552/EWG) vom 3.10.1989 und zum Verbot von Alkoholwerbung
– Verabschiedung eines „Alkoholwerbekontrollgesetzes“
– Einführung der 0,2-Promille-Grenze bei der Führung von Fahrzeugen als erster Schritt in Richtung 0-Promille-Grenze
– Einschränkung des Verkaufs von alkoholischen Getränken an Automaten
Ich denke nicht, dass Werbeverbote helfen, den Alkoholmissbrauch einzudämmen, auch wenn durch die gestrige Pressekonferenz der Drogenbeauftragten etwas anderes suggeriert wird, aber Mario hat den Taschenspielertrick schon entsprechend entlarvt. Ein Werbeverbot hat – meines Wissens – auch gegen das Rauchen nicht geholfen. Ich will jetzt hier allerdings nicht um ein paar Prozentpunkte streiten. Mein Eindruck ist, dass da wieder Ressourcen verballert werden, die sinnvoller eingesetzt werden könnten. Zugegeben, Werbung wie die von Günter Jauch für eine große Brauerei, die aus meiner Sicht ein Saufen für den guten Zweck suggeriert, finde ich perfide. Sei’s drum: Analog zur Debatte um den Zigarettenkonsum in Kneipen und öffentlichen Räumen, könnte ich Verbote in Sachen Alkoholkonsum nur insofern nachvollziehen, als dass sie unbeteiligte Dritte vor elementaren gesundheitlichen Folgen schützen. Wie zum Beispiel in der Frage Alkohol am Steuer. Ein Werbeverbot lenkt meines Erachtens von den gesellschaftlichen Ursachen des Alkoholmissbrauchs nur ab. Aber das Ablenkungsmanöver macht Sinn, denn es soll offenbar den Blick auf die gesellschaftlichen Bereiche, wo das Versagen der Politik am größten ist – siehe Bildung – möglichst wirkungsvoll verstellen.

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