Ein lesenswerten Beitrag über ESL-Milch aus der aktuellen Milchzeitung hat mich ins Grübeln gebracht, ob meine Skepsis bezüglich der länger als traditionelle, pasteurísierte Frischmilch haltbaren Extended Shelf Life Milk überhaupt angebracht ist. In dem Artikel argumentieren die Professoren Siegfried Scherer und Ulrich Kulozik sowie Dipl. vec. troph. Veronika Kaufmann von der TU München vehement und in einigen Punkten durchaus einleuchtend gegen die ESL-Milch-Kritik von Verbraucherschützern, die ihrer Ansicht nach in vielen Punkten keine Datengrundlage habe.
Natürlich ist die Milchzeitung ein an den Interessen der Milchwirtschaft orientiertes Blatt, und deshalb genieße ich den Beitrag der genannten Wissenschaftler zum Thema durchaus mit Vorsicht. Aber immerhin haben die Autoren Untersuchungen vorzuweisen. Und danach seien bei ESL-Milch weder relevante ernährungsphysiologische Defizite (u.a. Vitamin- und Mineralstoffverlust), noch Minderungen der Geschmacksqualität festzustellen. Vitamin- und Mineralstoffverluste bei Milch würden – und das erläutern sie recht plausibel – vielmehr durch Lagerung, Lichtdurchlässigkeit und Kopfraum der Verpackung verursacht, nicht aber durch das Produktionsverfahren.
Die Autoren differenzieren allerdings auch noch zwischen den zwei grundsätzlich verschiedenen Verfahrensvarianten zur Herstellung von ESL-Milch, das reine Hocherhitzungsverfahren mit Temperatur-Zeit-Kombinationen von 125-127° Celsius für zwei Sekunden bzw. 135° C. für 0,5 Sekunden sowie das aus Mikrofiltration und thermischer Behandlung kombinierte Verfahren. Letzteres scheint mit Blick auf die Geschmacksqualität Vorteile gegenüber dem reinen Erhitzungsverfahren zu bieten.
Problematisch, so die Autoren, kann es sensorisch allerdings dann werden, wenn die längere Lagerzeit der ESL-Milch nahezu ausgeschöpft ist, denn nach 18-21 Tagen können Fehlaromen entstehen (kartonartige und metallische Töne) und zwar aufgrund eines Anstiegs freier Fettsäuren.
In zumindest einem Punkt völlig unverständlich, wenn nicht gar unverfroren ist allerdings das Fazit der Autoren, der gestiegende Anteil ESL-Milch (50-60%) am gesamten Frischmilchverkauf in Deutschland sei Indiz für stetig steigende Nachfrage. Vielmehr ist es doch so, dass es bei vielen Discountern schon lange gar keine anderen als ESL-Frischmilchprodukte mehr gibt und die Verbraucher in den anderen Fällen vom Unterschied kaum etwas mitbekommen, weil eine klare Kennzeichnung immer noch fehlt.