Komasaufen und die Frage: Ist ein Familienessen in der Woche genug?

Gestern sah ich im ZDF die Sendung 37°. Thema: Mein Kind im Vollrausch. Natürlich lässt mich dieser irrsinnige Trend zum Komasaufen bei Jugendlichen nicht unberührt, gleichwohl empfinde ich die allgemeine Empörung über die Entwicklung als heuchlerisch.
Schon Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, das weiß ich aus leidvoller eigener Erfahrung, wurde unter Jugendlichen ziemlich viel getrunken. Und zwar nicht nur Bier und Wein, sondern auch Schnaps. Quer durch alle Schultypen, unabhängig von sozialer Herkunft. Whisky, Wodka, Apfelkorn, Mixgetränke – das volle Programm wurde getankt. Ja, und gelegentlich auch schon vor dem Unterricht. Vor allem, wenn Ferien anstanden. Nur ins Koma gesoffen wurde meiner Erinnerung nach viel seltener. Die Kotzgrenze war für die meisten das Ende der Alkoholfahnenstange. Konnten wir also damals besser mit Alkohol umgehen, Grenzen besser erkennen? Davon kann wohl kaum die Rede sein, denn Saufen bis zur Kotzgrenze ist sicher kein vernünftiger Umgang mit Alkohol.
Aber es gab einen entscheidenden Unterschied: Die große Mehrheit der Jugendlichen hatten damals geregelte Zeiten für Frühstück, Mittag- und Abendessen in der Familie. Wenn ich nun im Rahmen der Sendung 37° von einer Mutter höre, dass die Familie aufgrund des Komabesäufnisses ihrer Tochter nun versuchen will, zumindest einmal in der Woche eine gemeinsame Familienmahlzeit hinzubekommen, offenbart mir das den entscheidenden Teil des eigentlichen Problems. Mangelnde familiäre Bindungen und reichlich Kommunikationsdefizite.
Am Tisch, vor allem beim Abendbrot, konnten damals Dinge angesprochen werden, die dem ein oder anderen Familienmitglied auf den Nägeln brannten. Ich will die Vergangenheit hier keinesfalls glorifizieren, denn nicht immer gingen die Abende ruhig, entspannt und konfliktfrei ab, aber genau darin lag auch das Positive. Kinder wurden wahrgenommen, ernst genommen, und Eltern haben vor ihrem Erziehungsauftrag seltener kapituliert.
Den Einwand, aufgrund beruflicher Umstände ginge es heute kaum noch, gemeinsam Mahlzeiten abzuhalten, lasse ich nur in Ausnahmefällen gelten, denn wenn gemeinsame Mahlzeiten eine hohe Priorität im Familienalltag zugewiesen bekommen, wird es auch Wege geben, zumindest an ein paar Tagen in der Woche dafür zu sorgen, dass alle an einem Tisch sitzen.
Die Drogenbeauftragte, Sabine Bätzing (SPD), soll mir also wegbleiben mit ihren Präventionsmaßnahmen in Richtung Alkoholsteuer und Warnhinweise. Das ist eine politische Zirkusnummer, die von den tatsächlichen gesellschaftlichen Missständen ablenkt.

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