Seit ein paar Wochen liegt sie schon bei mir auf dem Schreibtisch, die Story aus dem Ressort Wissenschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 19. Juli, die unter dem Titel Hummer war gestern eine Auseinandersetzung mit der Molekulargastronomie versucht. Ich weiß nicht, warum ich jetzt doch noch darüber schreibe, obwohl ich mir vorgenommen hatte, derart oberflächliche Geschichten nicht mehr zu kommentieren. Vielleicht, weil ich mich nach der Qualität der Beiträge von Gero von Randow zurücksehne, der das Ressort bei der Sonntagszeitung seinerzeit vorbildlich aufgebaut und gepflegt hatte. Vielleicht auch nur wegen des Sommerlochs.
Schon der Einstieg ins Thema macht erschreckend deutlich klar, dass der Autor nicht zu wissen scheint, was der Begriff Molekulargastronomie überhaupt bedeutet. Oder, was noch schlimmer wäre, er dem Leser die Differenzierung unterschlägt, damit die Geschichte rund wird. Stünde die Story nicht im Ressort Wissenschaft, würde ich ersteres noch als nicht erwartbar abhaken.
Der Begriff Molekulargastronomie steht nach Aussage seiner Urheber, Hervé This und Nicholas Kurti für eine „Wissenschaft, vergleichbar der Molekularbiologie“. Sie beschreibt die Auseinandersetzung mit den unzähligen kleinen und großen Fragen des Kochens. Die Geschichte vermittelt aber den Eindruck, dass Molekulargastronomie gleichbedeutend ist mit Industrienahrung a la „Magic Asia Ente“ auf der einen und „Erdbeerluft mit getrockneten Himbeerschnitzel“ von Spitzenkoch Ferran Adrià auf der anderen Seite. Das ist, aus meiner Sicht, im höchsten Maße unsauber.
Die einzige halbwegs aktuelle Information in dem rund 300 Zeilen umfassenden Text bezieht sich auf einen Beitrag des ZDF von Mai 2009 über die Deklarationsverstöße von Gastronomen, Bäckereien und Lebensmittelindustrie in Bezug auf den Einsatz von Käsesurrogat, so genanntem Analogkäse, dem Aufhänger des Beitrags. Mal abgesehen davon, dass nicht das ZDF die Problematik aufdeckte, wie dort zu lesen steht, sondern die zuständigen Behörden (der kompottsurfer berichtete darüber bereits im April) fördert der Beitrag auch sonst nichts Neues zutage. Im Gegenteil. Die Hinweise auf den Einsatz von Texturgebern wie Agar Agar oder Alginat und die Herstellung von Melonenkaviar aus dem Steinzeitalter der wissenschaftlich inspirierten Avantgardeküche machen deutlich, dass der Beitrag nicht ansatzweise auf der Höhe der Zeit ist. Was ich von einer Veröffentlichung in der renommierten FAS jedoch als Leser unbedingt erwarten darf. Wer noch Zweifel an meiner Einschätzung hat, dem sei gesagt, dass am Schluss der Geschichte Bezug auf ein EU-Projekt genommen wird, in dem das „Technologie-Transfer-Zentrum Bremerhaven exakte Naturwissenschaft und intuitive Kochkunst zusammenführen will. Blumenthal und Adria sind bereits mit von der Partie.“ An dieser Stelle wird es wirklich oberpeinlich für das Blatt, denn das beschriebene Projekt ist bereits seit drei Jahren abgeschlossen. Seither hat es auch kein weiteres Projekt dieser Art gegeben, wie mir ttz-Chef Werner Mlodzianowski heute in einem kurzen Telefonat bestätigte.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein Beitrag über Mogelprodukte selbst wie ein solches rüberkommt.