Spärlicher als in den letzten Jahren sickern die ersten Informationen über die Preisträger des Gault Millau 2010 durch. Der Chef des Guide, Manfred Kohnke, hat rund um das Erscheinen des neuen Restaurantführers eine rigidere Informationspolitik durchsetzen können, daher erst jetzt die ersten Meldungen: Wahabi Nouri aus dem Restaurant Piment in Hamburg wird neuer Koch des Jahres. Für viele Beobachter sicher eine Überraschung. Die weiteren Preisträger sind:
Entdeckung des Jahres: Daniel Achilles (Reinstoff / Berlin)
Oberkellner des Jahres: Manfred Friedel (Königshof / München)
Sommelier des Jahres: Melanie Wagner (Schwarzer Adler / Oberbergen)
Restaurateur des Jahres: Erhard Schäfer (Maître im Kuckuck / Köln)
Pâtissier des Jahres: Ronny Bolz (Villa Rothschild / Königstein-Taunus)
Kochschule des Jahres: Kochstudio von Otto Fehrenbacher (Lahr)
Cigar Lounge des Jahres: Cigarrum (Hotel Frankfurter Hof in Frankfurt/Main)
Ein Exempel statuierten die Tester an Johann Lafer,
der auf 15 Punkte abrutschte. Ich bin wahrlich kein Fan von Lafer, aber dass eine derartige Ohrfeige eher PR-Zwecken für den Guide geschuldet sein dürfte, als dem tatsächlichen Leistungsstand des Hauses, davon gehe ich mal getrost aus. Wenn ein türkisches Standardrestaurant bei mir um die Ecke zum Beispiel 13 Punkte bekommt und Lafer 15 (der Gault Millau nimmt für sich in Anspruch, die reine Küchenleistung zu bewerten und nicht das Preis-Leistungsverhältnis), dann stimmt da die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Klar, generiert Kohnke ein gewisses Lesevergnügen, wenn er schreibt „Zuwenige Aromen werden so präsentiert wie versprochen, sondern zu süß, zu salzig, zu disharmonisch. Die Saucen fallen sonderbar leblos aus, und wen beeindruckt es, wenn er im Menü mehrfach Teller bekommt, auf denen weißer Schaum nur als optischer Lückenfüller wirkt, weil er nach nichts schmeckt. Die Desserts machen nur in der Karte einen imposanten Eindruck, sind aber kaum auf irgendeiner Höhe der Zeit. …. Bleib lecker, Lafer, und werd nicht Lichter!“ Aber dafür dann tatsächlich eine Degradierung auf 15 Punkte vorzunehmen, ist aus meiner Sicht kaum zu vermitteln.
Nils Henkel, im letzten Jahr noch Deutschlands Koch des Jahres, wurde um einen Punkt auf 18 Punkte (von maximal 20 möglichen) abgewertet, Frank Rosin aus Dorsten steht jetzt mit ihm gleichauf. Er gewann einen Punkt hinzu und kann nach dem Titel „Restaurant des Jahres“ im Feinschmecker einen weiteren Erfolg für sich verbuchen. Bei Nils Henkel (Schloss Lerbach) wurde der Einsatz von Texturgebern kritisiert. Genau die verwendete Henkel aber schon im letzten Jahr. Und Kohnke hat’s geschmeckt und belobigt. Wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre, hätte ich vielleicht noch Zweifel daran gehabt, dass hier ein Exempel statuiert werden soll. Im letzten Jahr hatte Kohnke nämlich den Kampf gegen zu viel Chemie im Essen angekündigt. Dabei gäbe es ohne Chemie überhaupt kein Essen, was in irgendeiner Form als „zubereitet“ durchginge und in einem Restaurantführer besprochen werden könnte. Es gäbe überhaupt keine Restaurants ohne Chemie. Kochen ist die pure Chemie.
Es stimmt mich traurig, mit ansehen zu müssen, wie aus dem einst auf klarem Fortschrittskurs navigierenden Schlachtschiff Gault Millau Deutschland ein richtungslos umherschwimmendes Stück Treibgut geworden ist. Es stimmt mich deshalb traurig, weil ich sehr viel bessere Zeiten des Guides erlebt habe, weil der Gault Millau zu meiner kulinarischen Sozialisation in den letzen zwei Jahrzehnten vieles beigetragen hat, weil ich vielen Empfehlungen in Deutschland und Frankreich bedenkenlos folgen konnte. Und jetzt dümpelt der Guide meilenweit hinter dem neuerdings sehr fortschrittlich orientierten Michelin hinterher.
Über die Bewertungen im Rurhgebiet später mehr.