
Trockene deutsche Weißweine werden selten alt, restsüße schon eher. Ihren Besitzern fehlt es entweder an Geduld oder an der Lust auf ungewöhnliche Aromen. Oder sie glauben, ein trockener Weißwein habe einfach kein Reifepotential. Und so stößt man kaum mal auf alte trockene Weißweine aus Deutschland, so wie ich am gestrigen Abend. Der Wein stammte nicht von einem renommierten Winzer, wie vielleicht zu vermuten gewesen wäre, sondern aus der traditionsreichen Winzergenossenschaft Kallstadt in der Pfalz. Allerdings brauchte es für die Entzifferung des Etiketts beinahe papyrologische Fähigkeiten. Wenn wir die Buchstabenfragmente richtig zusammengesetzt haben, sollten wir eine 1981er Kanzler Auslese trocken aus der Lage Kallstadter Kobnert im Glas gehabt haben. Die Kanzlerrebe ist eine extrem rare Rebsorte aus der Kreuzung von Müller-Thurgau und Silvaner. Wegen der Empfindlichkeit der Rebstöcke wurde und wird der Kanzler nur selten angepflanzt.
Der Füllstand der Flasche war sehr gut, der Korken noch in Ordnung und die Farbreflexe zeigten Bernstein aber noch keine Brauntöne. In der Nase waren eine deutliche Süßholzaromatik sowie Karameltöne und am Gaumen auch noch etwas Säure wahrzunehmen. Ich muss sagen, solche Entdeckungsreisen in die Welt des Weins machen mir immer wieder Spaß. Vor allem dann, wenn sich das Entdeckte als derart lebendig entpuppt.