Ralf Flinkenflügel ist Chefredakteur der deutschen Ausgabe des Guide Michelin. Mit dem kompottsurfer sprach er über die gerade frisch erschienene 2012er Ausgabe des traditionsreichen Restaurantführers.
Herr Flinkenflügel, Jahr für Jahr adelt der Guide Michelin neue Restaurants mit einem Stern. Ist es wirklich noch so, wie einige Gastronomen behaupten, dass es teure Tischeindeckung und Riedelgläser braucht, um ausgezeichnet zu werden, auch wenn die Küche noch so gut ist?
Nein. Für die Sterne zählt nur die Qualität des Essens. Ein schönes Gegenbeispiel ist das Le Moissonnier in Köln. Man sitzt dort relativ eng, die Stühle sind auch nicht die bequemsten, die Atmosphäre ist lebhaft. Das Haus îst aktuell mit zwei Sternen ausgezeichnet und erfüllt dabei sicher nicht das Klischee, das bei manchen Leuten noch von einem Spitzenrestaurant vorherrscht. Wir haben in den letzten Jahren vermehrt auch Häuser ausgezeichnet, die das Gegenteil von pompös sind und lediglich mit einem Besteck von maximal fünf Bestecken in unserer Kategorie Ausstattung eingeordnet werden, wie zum Beispiel das Tramin in München.
Wie stellt der Guide Michelin sicher, dass ein Stern in Bayern tatsächlich die gleiche Küchenleistung widerspiegelt wie in Berlin?
Unsere Inspektoren haben keine festen Einsatzgebiete. Es gibt jedes Jahr eine neue Einteilung der Regionen, die sicherstellt, dass unsere Inspektoren in vielen Teilen Deutschlands unterwegs sind. Und wenn einer von ihnen ein Restaurant für einen neuen Stern vorschlägt, schicken wir weitere Inspektoren dorthin, um eine solche Entscheidung festigen zu können.
Welche Rolle spielt der Küchenstil bei der Bewertung? Es sieht beim Guide Deutschland so aus, als hätten derzeit Avantgardisten wie Juan Amador oder gar Spartenrestaurants, die japanische oder indische Küche anbieten bessere Chancen als noch vor sechs oder sieben Jahren.
Ich denke nicht, dass der Michelin Führer sich verändert hat, sondern die Restaurants haben sich entwickelt. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel mit dem taku in Köln ein Restaurant mit asiatischer Küche ausgezeichnet, im letzten Jahr mit dem Nagaya in Düsseldorf einen Japaner. Wir sind da völlig offen. Der Umstand, dass erst jetzt für diese Häuser Sterne vergeben werden, zeigt nur, dass die nötige Qualität in der Vergangenheit in Deutschland nicht zu finden war.
Es werden mit der Ausgabe 2012 neun Häuser mit drei und 32 mit zwei Sternen ausgezeichnet. Damit hat sich die Zahl der absoluten Spitzenrestaurants in den letzten fünf Jahren von 21 auf 41 nahezu verdoppelt. Hat die Restaurantlandschaft in Deutschland in der Spitze tatsächlich so eine deutliche Wandlung erfahren oder sind die Kriterien des Guide Michelin andere geworden?
Ja, in der Spitze ist in Deutschland in den letzten Jahren sehr viel passiert. Wir kreieren ja nicht eine Reihe Zwei- und Dreisternehäuser, nur um Medienwirksamkeit zu erzeugen. Es gibt in Deutschland eine junge, bestens ausgebildete und hoch motivierte Kochgeneration, die kreativ und ehrgeizig arbeitet. Das zahlt sich jetzt aus. Dazu kommt natürlich auch, dass die Nachfrage nach einer solchen Spitzenküche da ist. Die muss auch da sein. Wenn die Spitzenrestaurants schlecht besucht sind, dann funktioniert das auf Dauer nicht. Und es gibt noch einen weiteren Effekt: Je mehr Spitzenrestaurants es gibt, umso mehr gute und talentierte Köche werden auch ausgebildet. Durch diesen Schneeballeffekt profitiert die Restaurantlandschaft langfristig auch in der Breite.
Wo zieht der Guide Michelin die Grenze zwischen einem Haus mit Bib Gourmand und einem Michelinstern?
Das sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Auszeichnungen des MICHELIN Führers. Ein Bib Gourmand kennzeichnet ein empfehlenswertes Haus, in dem man zu moderaten Preisen gut essen kann. Der Stern bedeutet, dass das Restaurant zu den international besten seiner Kategorie gehört. Bevor wir Auszeichnungen vergeben, müssen wir uns ganz sicher sein, dass das Niveau auch längere Zeit zu halten ist. Es gibt beispielsweise Häuser, die wir seit vielen Jahren regelmäßig besuchen und deren Leistung immer nah am Stern liegt, aber dann der entscheidende letzte Schritt über die Jahre einfach nicht kommt. Wir tun keinem Gastronomen einen Gefallen damit, ihm einen Stern zu verleihen, den wir schon im nächsten Jahr wieder entziehen müssen, weil die Konstanz fehlt.
Das heißeste Thema mit der 2012er Ausgabe des Guide ist zweifellos Nils Henkel und das Schlosshotel Lerbach. Warum wurde sein Restaurant auf zwei Sterne herabgestuft?
Die Gründe, die zu der Entscheidung geführt haben, werden nur mit Herrn Henkel besprochen. Wir sprechen im Bereich von drei Sternen ja über die weltbesten Küchen. Nur die Qualität, die wir in den letzten Jahren im Schlosshotel Lerbach gesehen haben, konnten wir im letzten Testjahr nicht mehr bestätigen. Wir hatten auch noch andere internationale Chefredakteure gebeten, dazu eine Meinung abzugeben, weil wir uns eine solche Entscheidung nicht leicht machen. Das ist natürlich keine Nachricht, die man einem Haus gerne überbringt, aber aufgrund unserer Ergebnisse blieb uns nichts anderes übrig.
Muss Nils Henkel nun befürchten, dass er auf längere Zeit von der Spitze weg ist?
Natürlich nicht. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass es einen Weg zurück in die Spitze gibt. Heinz Winkler zum Beispiel hat in seiner Karriere drei Mal den dritten Stern verliehen bekommen. Natürlich wird auch Nils Henkel die Chance haben, den dritten Stern zurückzuholen.
Herr Flinkenflügel, ich danke Ihnen für das Gespräch.