
Ist es vermessen, als Hobbykoch Rezepte aus Heiko Antoniewicz‘ großartigem Buch Sous Vide nachkochen zu wollen? Natürlich ist es das. Wenn ich allein ans Anrichten denke, schiebe ich schon Panik. Aber schöne Teller werden komplett überbewertet. Hauptsache, schmeckt. Höher als einigermaßen gut Nachkochen will ich die Messlatte auch gar nicht legen.
Wer Heikos Rezepte nachkochen will, besucht am besten erst mal einen Intensivkurs zum Thema Beschaffungskrimina.., pardon, Beschaffungskriminologie. Seine Kreationen leben auch und besonders von der Art und Weise, wie er außergewöhnliche Zutaten einbaut, deren Namen man als Hobbykoch mitunter erst einmal googeln muss. Zumindest aber die Bezugsquellen. Ich wage mich an Dicke Rippe, Rettich, Bouillonkartoffeln.

Rezept von Seite 68-71. Eindrucksvoll fotografiert. Aber ich weiß, dass wir von der abgebildeten Menge nicht satt werden. Wenn das kein Freibrief für mich ist, meinen Dilettantismus beim Anrichten zu rechtfertigen. Nur, soweit bin ich noch lange nicht.
Ich erschrecke, als ich die Garzeit der Dicken Rippe lese: 48 Stunden. Unfassbar. Sofort schicke ich eine Mail an Heiko raus. Wie gut, wenn man den Autor direkt anschreiben kann. „Hallo Heiko, die 48 Stunden Garzeit für die Dicke Rippe muss ich wohl deutlich einkürzen. Das bekomme ich so lange hier einfach nicht bewacht ;-).“ – Die Antwort kam schnell: „Die Rippe braucht dich auch nicht zum aufpassen … .“ Typisch Heiko. Bringt die Dinge immer wieder unterhaltsam auf den Punkt. Ach ja, und rezeptergänzend könne ich das Fleisch noch mit seinem Tomatenserum und Ketjap Manis marinieren, schreibt er.
Aber für 48 Stunden den Julabo anschmeißen und in der Küche zudem durchgängig sanftes Grundrauschen fabrizieren? Nee, das bekomme ich familiär nicht vermittelt. Ich rechne durch und komme auf 8 Stunden, die ich das Rindfleisch bei 65° Celsius garen kann, ohne zwischendurch aus dem Haus zu müssen. Das klappt, wenn ich mit dem Lauftraining um 9:30 Uhr durch bin und sofort im Anschluss die restlichen paar Kleinigkeiten eingekauft bekomme. Soweit der Plan.
Mit den Vorbereitungen starte ich schon am Freitag. Rinderfond ansetzen und Großeinkauf machen. Im Asiashop packe ich Wasabi ein und mache mich auf die Suche nach Macis-Blüte, Blöd nur, dass die Dinger im Asia Shop anders heißen. Ich durchpflüge das komplette Gewürzregal, bis ich die Muskatnussschale – oft auch Muskatnussblüte genannt, obwohl es nicht die Blüte ist – schließlich finde. Unter dem Namen Javantri. Ja, und dann brauche ich noch dieses, ähem, Mist, wie heißt dieses Zeugs noch mal? Irgendeine süße Sojasauce aus Indonesien war’s. Wie gut, wenn man den Autor direkt anrufen kann.
„Ähem, Heiko, ich bin hier im Asia Shop. Wie heiß noch mal diese Sojasauce zum Marinieren?“
„Ktttppspf“
„Was? Wie?“
„Ghbbpff“
„Ey, nee, macht keinen Sinn. Die Verbindung ist zu schlecht. Wenn du meine Frage verstanden hast, schick‘ mir doch bitte eine SMS.“
Keine 30 Sekunden später zwitschert’s. SMS von Heiko.
„Ketjap Manis von Go Tan.“
Ich frage Cheffe von Shop nach Ketjap Manis von Go Tan. Er deutet auf eine Palette: „Gerade im Angebot.“ Ich greife zu, obwohl die weißen Plastikflaschen irgendwie nach Waschmittelbehältnis aussehen. Ich bezahle, verlasse den Laden und simse an Heiko:
„Super, danke. Echt lustig, die Packung sieht aus wie für Waschmittel.“
Und wieder zwitscherts: „Ob das mal die richtige ist …?“ Es war zu spät als ich realisiere, dass der Hersteller nicht Go Tan ist.
„Na ja, nicht wirklich. Anderer Hersteller.“
„Dann guck mal drauf, ob da Geschmacksverstärker drin sind.“
„Mach ich zuhause, mit Brille für das Kleinstgedruckte ;-)“
Mit einem „Genau!“ von Heiko ist dieser SMS-Thread beendet.
Zuhause Brille auf und Flaschenrückseite studiert. Inhaltsstoffe: Melasse, Wasser, Sojasauce (Sojabohne, Salz, Weizenmehl, Karamel, Konservierungsmittel Natriumbenzoat), Säuerungsmittel Milchsäure, Aroma. Also weder irgendwelche Glutaminsäuren noch Hefeextrakt drin. Aber dafür Natriumbenzoat. Au Backe, das ist irgendwie sogar noch schlimmer. Okay, einmal werden wird dieses üble Zeug wohl überleben.
Es ist Samstag, der Lauf absolviert und für die Bouillonkartoffeln packe ich rezeptgemäß je 200 g in kleine Würfel geschnittene und blanchierte Kartoffeln (habe festkochende Belana ausgewählt), 300 ml Rinderfond, 2 Zweige Majoran und eine Muskatschale in Plastikbeutel, verschweiße sie und mache ein Foto. Als ich die Beutel anschließend ins aufgeheizte Wasserbad legen will, sehe ich noch gerade rechtzeitig, dass etwas Fond herausgelaufen ist. Mist, irgendwo undicht. Also umfüllen und erneut einschweißen. Dann wird das Ganze für 45 Minuten im Wasserbad bei 85° Grad gegart. Das zum Glück sehr einfach zu bedienende Gerät stelle ich dafür standardgemäß ein Grad über Zieltemperatur ein, wie es in der Einführung von Heikos Buch zu lesen ist.
Ich setze mich an den Computer, surfe herum und höre nebenbei Radio. Mein VfL Bochum spielt in Frankfurt. Die Dinge entwickeln sich gut.
War da ein Piepen? Mist, habe ich den Wecker nicht gehört? Der Fusionchef von Julabo ist offensichtlich not amused. Und Chefs sollte man nicht verärgern. Ich stürme in die Küche. Auf dem Display blinkt es. Wie lange sind die Kartoffeln wohl schon drüber? Okay, bei niedrig temperiertem Sous Vide ist das nicht so wichtig, aber wissen will ich’s trotzdem. Das Display gibt zum Gück Auskunft: – 57 Sekunden. Puh! Abkühlen lassen und dann in den Kühlschrank damit. Zum späteren Regenerieren.
Ich reguliere das Gerät auf 66° Celsius herunter und lege einen Beutel mit 450 g marinierte Dicke Rippe (Rinderbrust), 2 Zweigen Thymian, 10 Pfefferkörnern und 50 ml Rapsöl ein. Fehlt noch das Gemüse und der Rettich. Für das mise en place bekomme ich Unterstützung. So akkurat hätte ich die Brunoise von Karotten und Petersilienwurzel, offen gestanden, auch nicht hinbekommen. Orginalgetreu hätte Sellerie statt Petersilienwurzel eingesetzt werden müssen, aber aufgrund einer familiären Sellerieaversion, habe ich umdisponiert und mit Petersilienwurzel etwas anderes, aber geschmacklich Naheliegendes ausgesucht. Das Brunoisegemüse und zwei Bund Lauchzwiebeln werden kurz blanchiert, dann beiseite gestellt.
Der Rettich erscheint auf den Fotos im Buch wie ein Schaum, aber bei mir wird es eher eine Paste. 1 Schalotte, etwas Weißwein zum Ablöschen, 100 ml Gemüsefond, 60 g geriebenes Weißbrot und 3 g Wasabi habe ich dafür zusammengebracht. An der optischen Leichtigkeit werde ich noch arbeiten müssen. Das Problem lag wohl beim Feinpassieren, das nicht so fein war, wie es sein sollte.
Dann der Endspurt. Kartoffeln im Beutel noch mal ins Wasserbad legen und regenerieren. Gemüse kurz in Butter anschwenken, Fleisch portionieren und anrichten. Letzteres gelingt mir so schlecht, dass ich die Fotos in meinen Giftschrank gelegt habe. Geschmacklich ist es aber ein großartiges Erlebnis. Diese Kombination von Rettich mit den perfekt harmonierenden Aromen von Majoran und Muskatnussschale passt einfach wunderbar, dazu das saftige Fleisch und ein reifer Pinotage aus Südafrika.
Mal sehen, ob ich beim nächsten Rezept ohne Heikos Akuthilfe auskomme.