… nee, lassen wir das mal mit der Wahrheit. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass es anders ist. Sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das trifft es besser. So wie heute im Fischladen. Ich kaufe Räuchermatjes, bezahle und habe gerade den Laden verlassen, da bewegt sich eine Großmama mit ihren beiden Enkeln auf das Geschäft zu. Nicht ohne eine ernste Ermahnung im Vorfeld abzugeben: „Und sagt da drin bloß nicht, dass es dort nach Fisch stinkt.“ Der erste der beiden Knirpse war gerade durch die offen stehende Tür getreten, da antwortete er: „Aber Oma, warum sollen wir denn nicht sagen, dass es da nach Fisch stinkt?“ Was die Oma erwiderte, ist nicht überliefert. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß. So was passiert, wenn man Peinlichkeiten verhindern will. Aber wo kommt er denn nun her, der unangenehm empfundene Geruch, der umgangssprachlich gerne als Fischgestank bezeichnet wird?
Wenn ein Fisch nach Fisch riecht, ist er nicht mehr frisch, dass weiß jeder, der Fisch kaufen will. Die Wahrheit ist aber, dass ein Fisch nach Fisch riecht, wenn er nicht nach Fisch riecht. Wenn er also gar nicht riecht, außer vielleicht nach einem Hauch Seetang. Denn das, was gemeinhin als Fischgeruch bezeichnet wird, ist der Geruch von Abfall. Ergebnis enzymatischer Reaktionen und eines bakteriellen Zersetzungsprozesses der am Ende der Totenstarre einsetzt, ungefähr sechs Stunden nach Ableben des Tieres. Wenn der Fisch unmittelbar nach dem Fang auf Eis gelegt wird, kann die Totenstarre und damit der Zerfall um fünf bis sechs Tage hinausgezögert werden. An einem Marktstand werden aber ständig Fische filetiert, und die Reste landen natürlich nicht on the rocks sondern in einer stinknormalen Mülltonne. Sofort machen sich die Bakterien an ihren Zersetzungsjob und lassen es am Fischstand im Nu nach nicht mehr frischem Fisch riechen. Der Geruch wabert umher und kein Marktbesucher, und sei er die Supernase höchstpersönlich, wird zweifelsfrei feststellen können, ob der Geruch nun aus dem Mülleimer kommt oder von einem Fisch stammt, den er gerade mit seinem Zinken ins Visier nimmt. Geübte Fischkäufer mögen vielleicht aufgrund einer trockenen, glanzlosen und eingefallenen Fischhaut sowie loser Schuppen oder trüber Augen Rückschlüsse auf die mangelnde Frische des Fischs ziehen können, aber sicher nicht aufgrund des Geruchs an einem Fischstand.
Dass Fisch nicht nur beim Einkauf, sondern auch in der Verarbeitung schwer zu handhaben ist, liegt an seiner Muskelstruktur und seinem schwachen Bindegewebe. Während das straffe Kollagen von Säugetieren manchem Stück Fleisch stundenlange Garung abverlangt, damit es seine Zähigkeit verliert, braucht Fisch im Grunde gar keinen Garprozess, weil kein zähes Bindegewebe zersetzt werden muss. Brathitze ist deshalb ein wahrer Texturkiller. Mit ihr werden die empfindlichen Muskelstrukturen von Fisch nahezu sekundenschnell degeneriert.
Vielleicht hat die nette Fischverkäuferin den Kindern die Sache ja so ungefähr erklärt ;-).