antoniewicz@home (11): Reh, Maronen, Rotkohl

Uups, die Sauce fehlt noch … . Kommt dann halt nach dem Fotografieren.

Wer Freunde besucht, bringt gerne ein kleines Präsent mit. Das ist gute Tradition. Unter Liebhabern kulinarischer Genüsse steht natürlich Ess- oder Trinkbares als Geschenk hoch im Kurs. Nun kündigte sich kürzlich Besuch bei uns an, der schon gleich verriet, was es als Mitbringsel geben würde: Rehkeule. Frisch geschossen von einem Jäger aus der Verwandtschaft.
Die Freude über das Reh war groß. Natürlich sollte das Wild dann auch am gleichen Abend verspeist werden, und meine Aufgabe sollte es sein, ein passendes Rezept herauszusuchen und das Essen zuzubereiten. Ich erinnerte mich, dass Heiko Antoniewicz in seinem Buch Sous-vide ein Rezept mit Reh am Start hatte und blätterte es durch. Bingo! Das passte und klang so gut wie einfach: Rehrücken, Maronen, Rotkohl.
Rehrücken hatten wir zwar nicht, aber das sollte dem Rezept keinen Abbruch tun, das mir bei näherer Durchsicht allerdings ein paar Besonderheiten offenbarte, die das scheinbar Einfache doch aufwändiger machte als auf den ersten Blick gedacht. Egal, da musste ich jetzt durch.
Für die Zubereitung des Rehs sollte ich normalerweise 500 g ausgelösten und parierten Rehrücken verwenden, aber es galt nun mal, die Rezeptur mit einer entsprechenden Menge ausgelöster Rehkeule zu bewerkstelligen, die ich mit 5 Pimentkörnern, 10 Kaffeebohnen, 3 Wacholderbeeren und 30 ml Haselnussöl im Vakuumbeutel veschweißte und für zwei Stunden bei 65° C. im Julabo Fusionchef garte. Heike setzt alle Zutaten in ein Holznest aus dem Asia Shop und verschweißt alles gemeinsam, um es dann bei 65° C. 20 Minuten zu garen. Aber ein passendes Holznest war daheim nicht verfügbar, also musste es ohne gehen. Und weil die Keule im Gegensatz zum Rücken längere Garzeit benötigt, mir dazu aber Erfahrungswerte fehlten, schätzte ich ab, dass ich für die ausgelösten Stücke mit zwei Stunden einigermaßen hinkommen sollte.
Der Rotkohl benötigte schon reichlich mehr Zuwendung als das Fleisch. Zu 400 g fein geschnittenem Rotkohl gab ich 200 g Apfelpüree, 3 Stück Sternanis (Originalrezept: Anis), Mark und Schote von einer Vanilleschote, 3 Nelken, 20 g Reis, 40 ml Rotweinessig, 80 ml Portwein und 30 g Honig. Eigentlich hätten noch 20 g Zucker hinzu gemusst, aber da ich durch meinen weitgehenden Zuckerverzicht mittlerweile extrem empfindlich auf Süße reagiere, sparte ich mir die Beigabe. Der Rotkohl kam nun mit allen anderen Zutaten in einen Vakuumbeutel, aber erst jetzt stellte ich fest, dass alles zusammen etwa 12 Stunden vakuumiert verpackt ziehen soll, bevor es für 90 Minuten bei 85° C. im Fusionchef versenkt wird. Dumm gelaufen, mir blieben bis zum Servieren gerade mal sechs Stunden. Egal, muss reichen.
Aus 800 ml Rotkohlsaft, 4 g Agar-Agar, 30 ml Cabernet-Sauvignon-Essig, 40 g Zucker und 1 EL Honig bereitete ich nun einen Rotkohljus zu. Dafür reduzierte ich den Rotkohlsaft auf 500 ml, montierte das Agar und die weiteren Zugaben und ließ alles zusammen einmal kurz aufkochen, bevor ich es in einer Glasschüssel abkühlen ließ, mit dem Stabmixer pürierte und mit Salz abschmeckte.
Die 200 g Maronen schlitzte ich auf und überließ sie – statt dem Backofen bei 200° C. – meiner Lieblingswunderwaffe, der Tefal Actifry, die es hervorragend versteht, die Maronen so zum Aufplatzen zu bringen, dass sie ratzfatz zu schälen sind. Ich vakuumierte sie zusammen mit 40 ml Ahornsirup, 30 g Balsamessig und 100 ml Geflügelfond und überließ sie bei 90° C. für 50 Minuten dem Fusionchef.
Aus einer getrockneten Scheibe Pumpernickel, 3 g Kaffeebohnen, 2 g Szechuanpfeffer und 3 g Kakaopulver (im original Kakaobohnen) stellte ich ein Pulver her, das eine erstaunliche Röstaromatik mit dezenter Schärfe in ungewöhnlicher Textur aufwies. Solitär nicht unbedingt genussvoll, aber als Würze auf dem Teller im Zusammenspiel mit Fleisch, Sauce und Maronen geradezu spektakulär.
Schließlich goss ich den Rotkohljus zum Rotkohl, vermengte das Ganze und richtete es mit der kurz in Nussbutter angebratenen, gegarten Rehkeule, etwas Rehjus, den in Butter geschwenketen Maronen und der Pumpernickel-Line auf den Tellern an. Dazu dekorierte ich ein paar Rock Chives (asiat. Schnittlauch mit Blüten)
Fazit: Das BESTE, was ich bisher aus Heikos Buch nachgekocht habe. Der Rotkohl war einfach sensationell, das Fleisch aromatisch und auf dem Punkt, die Maronen eine ideale geschmackliche wie texturelle Ergänzung, ja und dann war da noch dieser unglaubliche Pumpernickelstaub. Ich war endlich auch mal selbst mit den Ergebnissen rundum zufrieden. Und der Besuch? Tja, der wollte am liebsten gleich einziehen. Aber doppelschwör: So gut gelingt mein Essen nur in Ausnahmefällen. Und unter der Woche gibt’s dann wieder die einfachen Sachen. Matjessalat, Linseneintopf, Spaghetti Carbonara, Pfannkuchen, Risotto … .

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