Was titelt der kompottsurfer da? Irrer Streit? Ist es nicht durchaus sinnvoll, über gesunde und ungesunde Ernährung nachzudenken und gegebenenfalls zu streiten? Sollte es nicht unser aller elementares Interesse sein? Sicher sollte es das. Nur liegen die Tücken im Detail. Denn es gibt keine gesunden und ungesunden Lebensmittel. Es gibt nur gesunde und ungesunde Ernährung, und mit dieser Ansicht steht der kompottsurfer auch nicht alleine da. Aber statt dessen bläst unsere Medienwelt – angefüttert durch Studienergebnisse, die von den Autoren selten genau gelesen werden – immer neue solitäre Empfehlungen hinaus.
Vorgestern war es die Warnung vor Wurst und rotem Fleisch. Weil Fleisch- und Wurstwaren gerade den zweifelhaften Ruhm erlangten, in der Liste der International Agency for Research on Cancer (IARC) neben Asbest, Arsen, Alkohol und Tabak einen Champions-League-Platz in Bezug auf Krebsgefährdung (Gruppe 1) zu erreichen.
Noch mehr als die Warnungen fressen aber einzelne Produktempfehlungen redaktionellen Platz in Publikumszeitschriften. Insbesondere Gesundheits- und Frauenmagazine servieren Empfehlungen für kostbares Obst und Gemüse, das uns, angeblich, gesund halten soll. Derzeit sind es – mal wieder – die Roten Rüben, auch Rote Beete genannt. Größter Wissensträger auf dem Gebiet der, nennen wir es mal Angewandten Rote Beete, ist Professor Andrew Jones von der Universität Exeter in England. Seine Entdeckung, dass Rote Beete die Sauerstoffaufnahme in den Muskeln erhöht (und wie man heute durch Untersuchungen anderer Forscher weiß, auch im Gehirn) sowie der Umstand, dass die von ihm seinerzeit betreute Landsfrau Paula Radcliffe den Frauen-Weltrekord im Marathon auf sagenhafte 2:15:25 Stunden nach unten schrauben konnte, wo er nun seit 2003 unangetastet steht, hat dazu geführt, dass Rote-Beete-Produkte bei Ausdauersportlern hoch im Kurs sind. Obwohl die Untersuchungen zur Roten Beete erst Jahre nach dem Marathonrekord erfolgten. Derweil plagt sich Paula, Trägerin des MBE-Ordens, aktuell mit Dopinganschuldigungen herum, was aber nichts mit Roten Rüben zu tun haben dürfte. Eher mit roten Blutkörperchen. Okay, ich schweife ab.
Nun ist Jones kein Lebensmittelchemiker, und die viel beachtete Untersuchung, die er seinerzeit vornahm, umfasste – kein Witz – die Teilnahme von acht (!) Männern im Alter zwischen 19 und 38 Jahren, die über sechs Tage täglich einen halben Liter Rote-Bete-Saft tranken und bei Belastungstests auf dem Radergometer deutliche Leistungssteigerungen aufwiesen. Acht. Wie aussagekräftig sowas ist, wollen wir mal dahingestellt lassen.
Wie auch immer, Jones sieht in dem hohen Anteil Nitrat den Hauptgrund für den beobachteten Effekt der Leistungssteigerung. Aber ist Rote Beete deshalb so besonders? Rettich und Radieschen weisen ähnlich hohe Nitratwerte auf, einsamer Nitrat-Spitzenreiter ist allerdings Rucola. Interessant wären also Vergleichsuntersuchungen mit anderen nitratreichen Lebensmitteln, aber soweit geht es mit Jones‘ Studienarbeit nicht. Übrig bleibt ein fader Beigeschmack.
Was bringt mir dieses Halbwissen über ein einziges Lebensmittel für meine Ernährung? Sehr wenig, findet der kompottsurfer. Zumal, wenn man weiß, dass die Aufnahme von Nitrat und deren Ausschöpfung sehr stark von Alter, Geschlecht und sonstigem Essverhalten abhängt. So schöpfen Frauen mehr Nitrat aus als Männer, junge Menschen mehr als ältere und Vegetarier mehr als Fleischesser. Und wer weiß, vielleicht schöpfen Ausdauersportler mehr aus als Untrainierte. Muskulöse mehr als nicht so muskulöse Menschen.
Nitrat wird im menschlichen Körper übrigens in etwa gleicher Menge selbst gebildet wie mit der Nahrung aufgenommen. Interessanter Weise über den Umweg Nitrit, dass im Körper durch einen Oxidationsprozess mit anschließender Bindung an Wasser vollzogen wird.
Schwenken wir zurück auf Fleisch- und Wurstwaren. Könnten die enthaltenen Nitrite der Problemverursacher für ein erhöhtes Erkrankungsrisiko sein, wie es zum Teil von Experten vermutet wird? So einfach ist es nicht. Die IARC bewertet lediglich die Validität von statistischen Korrelationen in Bezug auf Krebserkrankungen. Je besser eine Thematik untersucht ist, um so höher die Wahrscheinlichkeit, dass man vailde Daten hat. Deshalb also die aktuelle Einstufung in Gruppe 1, wo auch die alkoholischen Getränke zu finden sind. Wer einmal einen Blick wirft auf die lange Liste der Gefährdungsstoffe und ihrer Einstufungen, wird nachvollziehen können, worum es geht. Über ursächliche Zusammenhänge ist in dieser Liste nämlich nichts zu finden. Man kann verlässlich nur sagen, dass es einen sehr validen statistischen Zusammenhang gibt zwischen bestimmten Krebserkrankungen und Fleisch- und Wurstkonsum.Was allerdings bedenklich genug stimmen sollte.
Nitrit – und jetzt wird es für den Laien wirklich irre – kann im Körper nicht nur Nitrat bilden, sondern umgekehrt können auch Nitrate zu Nitrit umgebaut werden, was über bakterielle Prozesse passiert, die durch Nitratreduktasen in unserem Speichel in der Mundhöhle in Gang gesetzt werden. 90% Prozent des in Magen und Darm gelangenden Nitrits, so die Lehrmeinung, stammt aus diesem Umbauprozess. Weil dabei auch so genannte toxische Nitrosamine freigesetzt werden, hielt man nitratreiche Kost eine Zeit lang für gesundheitsgefährdend. Genauere Untersuchungen zeigten aber, dass nicht dieser Prozess sondern eine entsprechende Belastung von Lebensmitteln durch bestimmte konventionelle Arten der Düngung in der Landwirtschaft sowie der Einsatz von Konservierungsmitteln das eigentliche Problem bei der Bildung von Nitrosaminen darstellt. Nitrosaminbelastungen korrelieren in epidemischen Studien mit steigenden Zahlen von Diabetes-, Parkinson- und Alzheimererkrankungen sowie Magen- und Speiseröhrenkrebs. Wenn also der Verbraucher bei seiner Ernährung unbedingt auf etwas achtgeben sollte, dann auf die Vermeidung von Produkten, die der Bildung von Nitrosaminen Vorschub leisten könnten. Gepökeltes Fleisch braten oder grillen ist zum Beispiel keine gute Idee. Auch nitrithaltige Salami oder Pökelschinken meidet man besser. Die Kombination von Fruchtsäuren und nitrithaltigem Schinken, wie es sie zum Beispiel beim klassischen Toast Hawaii gibt, ist besonders heikel. Und auch wenn die Nahrungsmittelindustrie bemüht ist, das Problem zu entschärfen und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) beschwichtigt – am besten umfuttert man das Risiko. Alternativen gibt es ja nun wirklich genug. Und Lösungen mit Unterhaltungswert auch.
Fürwahr, das ist harter Stoff. Aber nach Ansicht des kompottsurfers nur ein weiterer Beleg dafür, dass nicht im einzelnen Lebensmittel das Wohl und Wehe unserer Ernährung liegt sondern im Gesamtpaket. Die Menge macht das Gift genauso wie das Medikament. So interessant Studienergebnisse zu einzelnen Lebensmitteln auch sein mögen – wir Konsumenten sollten das große Ganze im Blick behalten und uns nicht irre machen lassen von zuviel Kleinkram. Und was die Rote Beete jenseits der Gesundheitsdebatte betrifft – ihr Geschmack zeigt klare Kante, ist ausdrucksstark erdig. Ein Genuss für jeden, der charakterstarke Gerichte mag und Geduld bei der Zubereitung mitbringt.