
Zwei Tage ProWein sind mehr als genug für den kompottsurfer. Den heutigen dritten Tag der weltgrößten Fachmesse für den Weinhandel auch noch mitzunehmen, wäre zu viel geworden. Zu viel sehen, zu viel stehen, zu viel sprechen, zu viel spucken. Man sollte als Besucher am besten gar nicht darüber nachdenken, wie viel großartiger Stoff da ungetrunken in die Spucknäpfe fließt. Wie lange könnte man sich an diesen Mengen berauschen? Ja, ertappt, jetzt geht das mit dem Nachdenken doch noch los.
Ungefähr 100 probierte Weine sind über den Messeverlauf hinweg zusammenkommen. Für die Freaks ist das herzlich wenig, aber mir reicht es allemal. Immer wieder kam ich übrigens auch bei Winzern vorbei, die es in den vergangenen Jahren auf Spitzenplätze bei unserem rewirpower-Weintest brachten. Da sagt man dann auch mal guten Tag, wenn die Verantwortlichen nicht gerade in wichtigen Verkaufsgesprächen stecken. Gestern gab es die Gelegenheit, bei Julius Zotz vorbeizuschauen. Mit einem Spätburgunder von außergewöhnlichem Preis-Leistungsverhältnis hatte das Weingut aus dem Markgräflerland den rewirpower-Weintest 2013 gewinnen können. Doch die Weine von Zotz bereiten auch im höheren Preissegment Trinkvergnügen, was nicht zuletzt für die Weißweine gilt. Chasselas und Chardonnay aus der Premiumselektion wären da zu nennen. Und wo wir gerade beim rewirpower-Weintest sind – mit Vergnügen sah und hörte ich unserem hochgeschätzten Mitverkoster Markus Del Monego dabei zu, wie er für die l’Ecole du Vin de Bordeaux empfehlenswerte Bordeaux-Weine für jeden Tag vorstellte. Gewohnt informativ und kurzweilig. Vor allem die Hinweise zu kulinarischen Kombinationsmöglichkeiten waren interessant, weil Markus eben auch begründen kann, warum etwas zusammen passt. Von wegen Tomaten gehen nicht zu Wein – nein, so einfach macht es sich der Master of Wine nicht und beschreibt, wie es eben doch zusammenpasst.
Die ProWein wäre für den kompottsurfer mittlerweile nicht mehr die ProWein, ohne einen Besuch der Premium Familiae Vini (PFV)-Verkostung. PFV ist ein Zusammenschluss höchst namhafter europäischer Produzenten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Christophe Brunet und zahlreichen Familienoberhäuptern. Besonderheit ist übrigens, dass alle Weine aus Magnum-Gebinden ausgeschenkt werden. Und? Neugierig? Neugierig, was da alles getrunken, aber leider zumeist wieder ausgespuckt wurde, weil man sonst einen Messetag unmöglich durchhalten könnte? Falls nicht – Pech gehabt, ich erzähl’s trotzdem.
Zur Einstimmung gab’s aus dem Champagnerhaus Pol Roger die 2004er Jahrgangs-Cuvee „Sir Winston Churchill„. Der legendäre einstige britische Premierminister liebte den Champagner von Pol Roger und hat diese Liebe bis in seine Enkelgeneration vererbt. Es fällt wirklich nicht schwer, Verständnis dafür aufzubringen, dass ein solcher Champagner bei einer Genießerfamilie wie den Churchills an die DNA andockt. In der Farbe ein helles Goldgelb, eine gleichmäßige feine Perlung, dazu in der Nase der Duft von Brioche und Mandel, Trockenobst und Zitrusnoten. Am Gaumen cremig und im Nachklang sensationell anhaltend. Okay, ab jetzt kein Verkostungssprech mehr, versprochen. Was gab es noch? Die Erinnerung hat Lücken, weil es doch reichlich schnell ging und ich mit den Aufzeichnungen nicht immer nachkam. War es nun 2010er Mersault oder Montrachet von Drouhin? Ich habe keine Ahnung mehr. Nur dass mir der Wein Spaß gemacht hat, das weiß ich noch. Gilt auch für Hugels 2008er Riesling Schoelhammer, den Etienne Hugel höchstpersönlich vorstellte und den er – zur Verwunderung der Gäste – aus einem weiten Burgunderglas trank. Dieser Wein braucht Luft, Luft, Luft. Dann entwickelt er sich großartig. Ich habe übrigens noch nie eine so prägnante Note von frischer Ananas in einem Wein wahrgenommen.

Weiter ging die Verkostung mit einem 2004er Sassicaia von der Tenuta San Guido (Bolgheri), Antinoris Tignanello aus 2012, Torres Mas La Plana 2005, Mouton-Rothschild’s Petit Mouton 2005, Perrins Chateau Beaucastel 2010, Vega Sicilias Unico 2003 und schließlich Symingtons Dow 2007. Ich spare mir ein Anhäufung von Superlativen (die angebracht wären) oder Verkostungsnotizen, weil das einfach zu weit führen würde. Aber klar ist: Nächstes Jahr bin ich wieder da.
Der Verkostungstag hatte aber schon früher begonnen mit einer kulinarisch unterfütterten Probe, die Kaviar zum Thema ausrief. Bos Food hatte sich – gemeinsam mit den Weingüterm Tesch (Nahe) und Markus Schneider (Pfalz) – zur Aufgabe gemacht herauszufinden, welche Weißweine am besten zu Kaviar funktionieren, weshalb es natürlich sinnvoll war, gleich mehrere Sorten des erlesenen Produkts zu servieren. Ja, du liebe Güte, Kaviar, bekommt man den überhaupt noch legal? Sind die Wildbestände nicht weltweit unter Artenschutz gestellt? Ja, sind sie. Und das ist auch gut so. Weil Kaviar aber einen so besonderen Geschmack hat, haben sich einige Firmen auf Aquakulturen verlegt. Qualitativ ganz vorne dran ist die Firma Desietra aus Fulda. Aus deren Haus gab es nun verschiedene Sorten zur Auswahl, die zum Probieren wie Schnupftabak auf den Handrücken der Gäste platziert wurde. Dazu drei Rieslinge von Tesch (2011 Löhrer Berg / 2012 Königsschild / 2014 Karthäuser) sowie einen 2015er Chardonnay von Schneider. Überraschende Erkenntnis: Trockener Riesling geht richtig gut zu Kaviar. Beim Chardonnay hatte ich zuvor weniger Zweifel gehabt. Und doch liegen die Tücken im Detail. Etwas mehr oder weniger Säure, Süße oder Reife und schon ist das bezaubernde Zusammenspiel dahin.

Was ich im Rahmen der ProWein 2016 nicht hoch genug schätzen kann, ist, ausführlich Zugang zu den Weinen der Domaines Albert Bichot bekommen zu haben (Dank Melanie!). Ein Haus, das in der gesamten Region Burgund Weingüter führt, das ihre Kreszenzen vor Ort vinifiziert und dabei das jeweilige Terroir in ihre Weine bringt – gleichwohl aber eine Stilistik pflegt, die über alle Güter hinweg zu erkennen ist. Es waren durchweg sehr gut strukturierte Weine, die mir Isabelle Philippe von Domaines Albert Bichot zur Verkostung einschenkte.Weine, die leidenschaftliche Leichtigkeit transportieren ohne Leichtgewichte zu sein. Einige der für mich größten Entdeckungen waren die Weine von Domaine Long-Depaquit (Chablis), Chateau Gris (Nuits St. Georges) und – neu in der Gutsfamilie Bichot – ein Beaujolais Cru aus Moulin-à-vent von der Domaine de Rochegrès, deren Gamay-Rebstöcke 80 bis 100 Jahre alt sind und entsprechend geringen Ertrag bringen. Dafür ist die Qualität umso größer, die das Flagschiff Rochegrés auszeichnet. Es gibt auch noch einen kleinen Bruder, der schlicht als Moulin-à-vent etikettiert wird. Die Jahresproduktion für beide liegt bei gerade einmal 18.000 Flaschen (6.000 plus 12.000). Da viele Weinliebhaber weltweit immer noch weghören, wenn das Schlagwort Beaujolais fällt, weil sie damit nur das Massenphänomen Primeur verbinden, entdecken sie auch kaum die Perlen der Region. Das drückt auf den Preis. Herausragende Beaujolais sind für einen vergleichsweise schmalen Euro zu bekommen. Und es lohnt sich, da mal umfangreicher reinzuprobieren.
Und womit beschließt man die ProWein am besten? Mit Fiege Pils vor dem Bildschirm, während man mit Freunden dem VfL Bochum beim Siegen zuschaut.