
Die Nachricht machte schnell die Runde, und das nicht nur in der Fachwelt: Das französische Restaurant Le Suquet, seit Jahrzehnten bedacht mit drei Sternen, der Höchstbewertung des Guide Michelin, möchte in Zukunft nicht mehr vom wichtigsten Gastronomieführer der Welt bewertet werden. Sébastien Bras, der vor Jahren seinem berühmten Vater Michel als Küchenchef nachfolgte, will dem Druck entfliehen, den das Streben nach höchsten Kritikerweihen macht. Vor ihm waren bereits die ebenfalls höchstbewerteten Alain Senderens (2005) und Olivier Roellinger (2008) freiwillig aus dem Sternezirkus ausgetreten.
Ich war noch ziemlich jung als ich Ende der 1980er Jahre das erste Mal bei Michel Bras zu Tisch saß. Zu dieser Zeit war sein hochmoderner Gourmettempel Le Suquet noch nicht gebaut, aber seine Küche schon so eindrucksvoll, dass ich gar nicht wusste wie mir geschah. So etwas hatte ich weder in Frankreich noch in Deutschland je zuvor erlebt. Was mich heute noch ärgert ist der Umstand, dass ich mich damals nicht getraut hatte, nach einer Speisekarte als Andenken zu fragen.
Aber zurück zu einem dieser Sternenkinder, die in die riesigen Fußstapfen ihrer Väter treten. Schon das allein ein enormer Druck. Marc Haeberlin, Elena Arzak, César Troisgros – drei beispielhafte Namen aus der langen Reihe Hochveranlagter einer Nachfolgegeneration. Dazu der Arbeitsdruck einer auf Perfektion ausgerichteten Spitzenküche, die mit der Präzision von Hirnchirurgen arbeitet, obwohl sie gar keine Menschenleben retten muss, sondern nur ihr internationales Renommee. Nun will Sébastien Bras den Stecker ziehen, um aus seiner extrem aufgeladenen Arbeitswelt eine entspanntere zu machen, für sich, seine Mitarbeiter und seine Familie.
Auch wenn es aus Kreisen des Michelin heißt, man könne nicht einfach Sterne zurückgeben, weil der Guide ja nicht für die Gastronomen sondern die Gäste gemacht wird, so gehe ich trotzdem davon aus, dass die Inspektoren dem Wunsch entsprechen werden. Aber wird Sébastien deshalb künftig weniger gut und engagiert kochen? Ich denke, wohl kaum. Zumal Köche ja nicht für die Tester kochen, sondern für die Gäste. Ich verstehe das Ansinnen denn auch mehr als demonstrativen Akt der Selbstregulierung. Nach Außen hin deutlich machen, dass man es künftig entspannter angehen will.
Wir Foodjournalisten haben einen unschönen Anteil daran, dass die Spitzenküche zunehmend zu einer Forschungsklinik degeneriert, immer auf der Jagd nach einzigartigen Produkten, neuen Geschmacksharmonien, atemberaubenden Texturen und so durchdacht wie elegant inszenierten Arangements auf dem Teller. Das Beispiel Bras erinnert mich wieder daran, worum es auch in der Spitzengastronomie eigentlich gehen soll: entspannte Genussfreude.