Was tun, wenn der Nachwuchs volljährig wird und man als Vater ein Geschenk sucht, das noch geschätzt und genutzt werden kann, wenn man selbst längst unter dem Torf liegt? Eines, das nicht so schnell abhanden kommt wie eine vererbte Uhr beispielsweise? Ich musste nicht lange grübeln bis mir als Liebhaber hochwertiger Kochwerkzeuge das Thema Messer einfiel. Zumal wir im Ruhrgebiet in unmittelbarer Nähe zur Welthauptstadt der Klingen leben: Solingen.
Kein anderer Gegenstand demonstriert derart eindrücklich den Fortschritt in der Menscheitsgeschichte. Ohne das Messer und seine Vorläufer, so scheint es, wenn man sich mit seiner Entwicklung und Nutzung befasst, gäbe es den modernen Menschen wahrscheinlich nicht. Über 2,5 Millionen Jahre ist es her als in der Altsteinzeit erstmals Steine und später Knochen mit scharfen Kanten gefertigt wurden. Der Mensch konnte sich auf diese Weise protein- und fettreiche Nahrungsquellen erschließen, die seine Entwicklung förderten und die Hirne wachsen ließen. Messer aus Bronze wurden bereits im dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung hergestellt, aber es dauerte noch einmal mehrere Jahrtausende bis schließlich jene rostfreien Stahllegierungen entstanden, aus denen die Klingen hochwertiger Messer von heute gemacht sind, wobei in den bedeutendsten Herstellerländern USA, Japan und Deutschland unterschiedliche Legierungen favorisiert werden.
Ich nutzte also den geplanten Messerkauf für einen Besuch und eine Besichtigung der namhaften Solinger Messerschmiede Güde, ein Vorhaben, das ohnehin schon seit Jahren auf meiner to-do-Liste stand, aber immer wieder in Vergessenheit geriet. Der Betrieb wird heute in vierter Generation von Karl-Peter Born, einem promovierten Ingenieur geführt. Dessen Urgroßvater Karl Güde hatte die Schmiede 1910 gegründet, dessen Sohn Franz den internationalen Bekanntheitsgrad vorangetrieben, nicht zuletzt als Erfinder des Wellenschliffs in der heute weltweit verbreitetsten Version mit den spitzen Zähnen. Es gibt kaum ein Brotmesser, das nicht auf diese Weise geschliffen ist. Das müsste dem Unternehmen doch Jahrzehnte sprudelnder Einnahmen aus Lizenzgebühren eingebracht haben, frage ich Herrn Born. Der schüttelt schmunzelnd den Kopf: „Es gab damals nur einen Gebrauchsmusterschutz für den Schliff, und der war kurz nach dem Krieg abgelaufen. Aber immerhin haben wir bis heute noch etwas vom Ruhm der Erfindung.“
Karl-Peter Born führt mich durch die Räumlichkeiten der Werkstätten, wo es nach Eisen riecht, nach Paraffinen und Schmierölen. An Maschinen und Werktischen sitzen Borns Mitarbeiter und lassen Schritt für Schritt jene Messer entstehen, die das Gütesiegel „Made in Germany Solingen“ tragen dürfen. Das bedeutet, die komplette Wertschöpfung des Werkzeugs erfolgt in der Klingenstadt. Darauf ist Born zurecht stolz, heben sich seine Messer dadurch doch erheblich von vielen Gerätschaften der deutschen Konkurrenz ab, die einen nicht unerheblichen Teil ihrer Produktion nach Asien verlegt haben. Und bei aller Traditionspflege bleibt er offen für Innovation und beweist immer wieder, dass Handwerkskunst keinesfalls bedeuten muss, sich vom Fortschritt abzukoppeln, weder technologisch noch gestalterisch. Für das Brotmesser Franz Güde gab es einen Red Dot Award, für das Delta einen Interior Innovation Award und für das neueste Modell The Knife sogar einen German Design Award. Und es geht immer weiter. So durfte ich bereits die frühen Vorstufen eines neuen Messerentwurfs in Augenschein nehmen, natürlich ohne Bilder mit der Kamera davon zu machen.
Aber abseits aller Gestaltungs- und Handhabungsaspekte: Vor allem muss ein erstklassiges Kochmesser, na klar, perfekt schneiden. Damit es diese Aufgabe auf Dauer gut erledigt, seien aufmerksame Pflege und richtige Behandlung unabdingbar, unterstreicht der Chef. Zu den wichtigsten Geboten zählen die unverzügliche Reinigung nach Benutzung, insbesondere, wenn säurehaltige Lebensmittel verarbeitet wurden. Allerdings nur mit ein wenig Wasser und einem Tuch, keinesfalls mit Scheuermitteln. Was auch die Reinigung in der Spülmaschine ausschließt. Erst recht, wenn das Messer mit Hiolzgriffen versehen ist. Außerdem ist loses Lagern in der Schublade für ein gutes Messer keine geeignete Aufbewahrung. Besser sind Messerblöcke oder Magnetleisten. Dazu kommt, mit Kochmessern möglichst nicht auf steinernen oder metallenen Flächen und auch nicht auf Porzellantellern zu schneiden. Das schadet der Klinge. Was das Schleifen angeht, so lohnt für den häufigen Messerbenutzer die Anschaffung eines original Güde Wetzstahls. Der ist zwar so teuer wie ein gutes Messer, aber hält die Klinge dauerhaft scharf. Andere Wetzstähle tun es natürlich auch, sie sind nur nicht so perfekt auf das Messer abgestimmt. Profiköche ziehen ihre Messer nach jedem Gebrauch über den Wetzstahl, damit sie beim nächsten Gebrauch wieder tiptop ihren Dienst tun. Dazu braucht es etwas Übung, weil der Winkel beim Ansetzen stimmen muss, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Nach einer Weile intensiven Gebrauchs und Wetzerei, sollte man seine Messer zum Nachschleifen geben. Güde bietet diesen Service für seine Messer gegen eine fair kalkulierte Gebühr an.
Fazit meines Besuchs: Handgeschmiedete Messer machen ist harte und aufwändige Arbeit. In der Gesenkschmiede musste ich mir teilweise die Ohren zu halten, so laut war es da. Aber wenn man sieht, was am Ende dabei herauskommt, scheint all‘ der Aufwand vollkommen gerechtfertigt.
Als Besitzer einiger Güde-Messer bin ich ja doch recht neidisch auf den Kompottsurfer, dem ein Besuch in der Güde-Schmiede gewährt wurde. Da kommt ein Besuch der Solinger-Messer-Messe in keiner Weise mit…