Als der kompottsurfer im letzten Herbst ausführlich über eine neue EU-Verordnung zum Thema Acrylamid berichtete – dabei aber Kaffee bewusst ausklammerte – war in den USA bereits eine Klage wegen Krebsgefahr durch Acrylamid im Kaffee in Vorbereitung. Eingereicht durch eine NGO, das Council for Education and Research on Toxics (CERT). Nun entschied ein Gericht in Los Angeles unter Vorsitz von Richter Elihu Berle, dass Unternehmen wie Starbucks, McDonalds und etwa 90 andere Warmhinweise auf ihre Becher drucken müssen. Abgesehen davon, dass die Unternehmen noch bis Mitte April Zeit haben, Widerspruch gegen das Urteil einzulegen, kam mir gleich der Gedanke: Und was passiert, wenn ich als Umweltfreund in LA mit meiner schicken Hydro Flask bei Starbucks Kaffee hole statt im Einwegplastikbecher? Müssen die mir dann beim Bezahlen einen Gefahrenbescheid aushändigen?
Wie auch immer: In Kalifornien sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, Verbraucher zu warnen, wenn ihre Produkte Verbindungen enthalten, die Krebs verursachen könnten. Nun ist längst nicht klar, ob das beim Rösten von Kaffee entstehende Acrylamid überhaupt in gesundheitlich bedenklicher Menge anfällt. Richter Berle fällte denn auch ein auf Versäumnis denn Verseuchnis beruhendes Urteil. Die Beklagten hätten es versäumt, ihrer Beweispflicht nachzukommen, dass der Konsum von Kaffee einen Vorteil für die menschliche Gesundheit darstellt.
Anscheinend müssen Hersteller in Kalifornien nachweisen, dass der Konsum ihres Kaffees von Vorteil für die Gesundheit ist, um zu verhindern, dass des Amerikaners liebstes Heißgetränk als Krankmacher abgestempelt wird. Verstehen muss man diese juristische Logik nicht.
Aber was ist denn nun mit der Krebsgefahr? Die chemische Reaktion, die Acrylamid bildet, kommt in Gang wenn kohlenhydratige Speisen auf mehr als 120 Grad erhitzt werden. Je länger und heißer, desto mehr Acrylamid kann entstehen. Mit dem gelegentlich gefährlichen Halbwissen eines lebensmittelchemisch interessierten Journalisten frage ich mich: Sind Kaffeebohnen tatsächlich Kohlenhydratbomben? Antwort aus dem Lehrbuch von Belitz, Grosch und Schieberle: Die Anteile betragen 38% (Arabica) bzw. 41,5% (Robusta). Zum Vergleich: Weizenmehl enthält 71%, Kartoffeln 17%. Die Menge allein sagt erstmal noch nicht allzu viel aus, was aber leicht zu erkennen ist: Kaffeebohnen enthalten reichlich Kohlenhydrate.
Aber nun kommt mal wieder die Wissenschaft ins Spiel. Unbestritten ist, dass Röstprozesse kohlenhydrathaltiger Verbindungen Acrylamid entstehen lassen. Unbestritten ist auch, dass Acrylamid karzinogene Wirkung entfalten kann. Aber wie lassen sich diese Fakten mit einer Reihe Metastudien in Einklang bringen, die Kaffee gesundheitsfördernde Wirkung zuschreiben? Gar nicht. Was zeigt, dass es eben überhaupt nicht einfach ist, komplexe Lebensmittelverbindungen und ihre Wirkungen auf den menschlichen Organismus zu verstehen.
Für mich unerklärlich bleibt, warum die beklagten Unternehmen in Kalifornien, wie es scheint, keine ernsthafte Gegenwehr erkennen ließen. Hatten sie die Lage unterschätzt? Dabei wäre es so einfach gewesen, im eigenen Land bedeutende Fürsprecher zu finden. Wissenschaftler der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston hatten vor wenigen Jahren drei Langzeitstudien mit über 200.000 Probanden ausgewertet. Ergebnis: Kaffeegenuss (bis 5 Tassen täglich) kann als hilfreich gegen tödliche Erkrankungsverläufe durch Herzinfarkt, Diabetes Typ 2 und Depression interpretiert werden. Dazu Frank Hu, am Institut zuständiger Professor für Ernährung und Epidemiologie: “Der regelmäßige Konsum von Kaffee kann als Teil einer gesunden, ausgewogenen Ernährung angesehen werden”, wie auch der kompottsurfer damals berichtete.
Es wird dabei jedoch vergessen, dass der herkömmliche Kaffee zumeist nicht mit dem schonenden Trommelröstverfaheren geröstet wird, sondern weit höheren Temperaturen, wobei Blattwerk und Äste mitgeröstet werden. Bei den gängigen Kaffeanbietern wird kein hochwertiger Kaffee vertrieben, abgesehen von den Bioprodukten.