Frankreich auch Weltmeister der Herzen – beim Essen.

Gestern gewann die Equipe Tricolore einigermaßen abgeklärt den Weltmeistertitel im Herrenfußball. Begeisterung konnte das Spiel bei mir keine entfachen – sechs Tore hin oder her. Ganz anders ein Gesetzesentwurf der französischen Regierung, mit dem unsere Nachbarn vor drei Jahren die Eindämmung der Lebensmittelvernichtung ins Visier nahmen. Besonders betroffen: der Groß- und Einzelhandel. Dem es untersagt werden sollte, Nahrungsmittel wegzuschmeißen, denen im Regal der Verfall droht. Natürlich war das ein großes Politikum. Und es gab damals tatsächlich einige irrlichternde Gestalten aus Handel und Wirtschaft, die das für einen unzulässigen Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit hielten.

Nun ist Frankreich keinesfalls das Land mit der höchsten Wegwerfquote in Europa. Auch wenn die (etwas älteren) Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind – wir Deutschen vernichten angeblich pro Kopf mehr als die vierfache Menge dessen, was die Franzosen an Essbarem entsorgen. 20 Kilogramm stehen da 81 Kilogramm gegenüber. So bezeichnend wie beschämend für eine Republik mit dem umkämpftesten Lebensmittelmarkt der Welt, wie namhafte Agrarökonomen Deutschlands Ernährungswirtschaft beschreiben. Möglichst wenig Geld für Nahrungsmittel bezahlen wollen und gleichzeitig viel wegschmeißen – mir hat diese Haltung noch nie geschmeckt, und vielleicht ist auch das ein Grund für meine frankophile Gesinnung: Wenn es um Genuss und Essen geht, sind uns die Franzosen um Längen voraus. Im Fußball nur manchmal.

Trotz großer Widerstände haben die Franzosen ihr Ding durchgezogen. Und entgegen den obligatorischen Skeptikern, die es in jedem Land gibt, und die guten Ansätzen gerne und vorschnell Wirkungslosigkeit unterstellen (weil sie die Vorhaben aus ganz anderen Gründen ablehnen) ist nach drei Jahren Anwendung ein Erfolg zu bilanzieren. Das übrig gebliebene Essen, verteilt an Bedürftigte, kommt da an, wo es benötigt wird. Die Wegwerfmenge sinkt, und kein Handelsbetrieb, egal ob klein oder groß, hat wegen dieser Maßnahme dichtmachen müssen.

Höchste Zeit, die Sache auch hierzulande konsequent anzugehen, statt nur mit Selbstverpflichtung. Ja, es gibt Initiativen, aber richtig Schwung hat das Ganze noch nicht. Aus meiner Sicht wird der Stellenwert von Essen und Ernährung in einer Gesellschaft besonders dadurch sichtbar, wie überschüssig Nahrung produziert, konsumiert und entsorgt wird. Wenn nicht nur Kinder, sondern auch erwachsene Menschen dazu erzogen werden müssen, Lebensmittel wertzuschätzen, dann läuft was schief. Es sollte nicht sein, dass der vollgepubteste, ausrangierte Autositz bei eBay einen neuen Besitzer fndet, aber Essen schneller auf dem Müll landet als man Stop! rufen kann.

Vor fünf Jahren berichtete der kompottsurfer über Mülltaucher, die in Aachen vor Gericht standen, weil sie den Abfallcontainer eines Supermarktes nach Essbarem durchsucht hatten. Eine geradezu bizarre Angelegenheit. Gäbe es ein gesetzlich unterlegtes Gebot, verantwortungsvoll mit Nahrungsmitteln umzugehen und sie Bedürftigen zugute kommen zu lassen, müsste auch in Deutschland niemand mehr im Müll nach Essbarem suchen. Bevor man also Brot, Obst, Gemüse und Milch nutzlos verklappt, sollte es kostenlos verteilt werden. Meine Meinung. Aber bevor wir uns nur auf den Handel einschießen: Der Endverbraucher hat keinen Grund mit dem Finger auf den Handel zu zeigen. Er selbst geht viel zu oft mit schlechtem Beispiel voran.

Vielleicht wird Deutschland in vier Jahren Weltmeister. Wenn nicht im Fußball, dann bei der Lebensmittelrettung. Illusorisch? Ach was, man wird ja wohl noch wünschen dürfen.

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