Nicht alles was Gelb ist und in Frankreich für Aufregung sorgt ist eine Weste oder ein Trikot. Käse tut’s auch. Im besagten Fall geht es um einen Käse, der farblich ins Orange driftet und angeblich bei Koch-Superstar Marc Veyrat im Soufflé verarbeitet worden sein soll: Cheddar. So erzählt es Veyrat selbst – empört von dieser Behauptung, die angeblich von den Inspektoren des Guide Michelin aufgestellt wurde.
Das wahre Problem liegt freilich tiefer. Frankreichs glorreicher Gastronomieführer hatte dem als Aromengenie geltenden Koch den dritten Stern entzogen, was diesen in eine sechs Monate andauernde Depression gestürzt habe, wie er in einem Interview bekannte. Für die mit Gastronomie und Restaurantkritik befasste Medienwelt in Europa ist die Geschichte ein gefundenes Fressen (sorry, den Kalauer konnte ich jetzt nicht liegen lassen). Weil mal wieder ungeniert über die Urteilsfähigkeit der Kritiker gestritten werden kann. Marc Veyrat ist nicht der erste, der sie bestreitet. Auch der wichtigste Initiator der Nouvelle Cuisine, Altmeister Michel Guerárd, springt ihm aktuell bei. Den ich übrigens immer zuerst mit einem vorzüglichen pochierten Hühnerei mit Osietra-Kaviar in Verbindung bringe, das ich 1994 bei ihm gegessen habe. Es muss wirklich ein grandioses Ei gewesen sein, wenn ich das nach 25 Jahren noch so gut erinnere.
Immer wieder fragen sich Experten, und alle die sich dafür halten, warum Koch X plötzlich einen Stern mehr bekommt als Koch Y, obwohl der ihn doch viel mehr verdient habe. Noch heikler wird das Ganze, wenn Sterne entzogen werden. Nun ist es ja nicht so, als besuchten die Inspektoren jedes besternte Lokal einmal im Monat oder gar einmal pro Woche. Das wäre personell wie finanziell gar nicht zu leisten. Nein, die Besuche beschränken sich in der Regel auf 1 bis 3 pro Jahr. Wie sicher da Qualitätsschwankungen beurteilt werden können, darf man schon hinterfragen. Der Chef der deutschen Ausgabe, Ralf Flinkenflügel, sagte in einem Interview mit dem kompottsurfer vor Jahren mal, dass man Abwertungen auf diesem Level, also von 3 auf 2 nicht leichtfertig vornähme, und auch Kollegen aus anderen Ländern zu Rate zöge, bevor man Entscheidungen träfe. Inwieweit das im Fall Veyrat passiert ist, müsste die Redaktion des Guide Michelin Frankreich erläutern.
Auch der geschätzte Kollege Jürgen Dollase äußert sich zum Thema. Auf eat-drink-think geht er ausführlich auf die aus seiner Sicht wichtigsten Aspekte ein. Interessant finde ich seinen Gedanken zur Vermittlerrolle zwischen Köchen und Gästen, die Gastronomiekritiker gerne einnehmen möchten, aber nur schwer auszufüllen in der Lage sind. Weil es eben ein Drahtseilakt ist, Kochkunst unter Berücksichtigung aller Interessen verständlich zu vermitteln, insbesondere einem breiten Publikum ohne das ganze Fachwissen auf der Basis vieler verspeister Menüs in Sternerestaurants. Dollase sagt, dass eine entspannte Position der Kritik, die beiden Seiten Gewicht gibt und tatsächlich zwischen den Bedürfnissen beider Seiten vermittelt, selten vorkommt, weil das Flexibilität, Übersicht und Selbstkritik voraussetze.
Ich möchte noch einen anderen Gedanken anfügen: Ist Gastronomiekritik, so wie sie durch die namhaften Führer Guide Michelin und Gault Millau vorgenommen wird, überhaupt noch zeitgemäß? Ich hatte ja an dieser Stelle spekuliert, dass Michelins Übernahme von bookatable zu einer Modernisierung der Kritik führen könnte, einem glaubwürdigen, publikumsbasierten Bewertungssystem. So könnte über das Reservierungssystem ein Verfahren implementiert werden, das Restaurantbesuchern eine Bewertung des von ihnen besuchten Lokals erlaubt, und eben nur diesen verifizierten, tatsächlichen Besuchern. Versierte Nutzer, die viele Besuche und Bewertungen aufzuweisen haben, könnten zum Beispiel einen höheren Bewertungsfaktor einbringen als andere. Vorteile eines solchen Systems wären Glaubwürdigkeit und Aktualität. Nur wer tatsächlich zeitnah im entsprechenden Restaurant gegessen hat, kann es auch bewerten. Und wer viele Vergleichsmöglichkeiten durch Besuche anderer Lokale nachweisen kann, dessen Meinung schlägt stärker in der Gesamtnote durch. Ganz so differenziert läuft die Sache zwar noch nicht, aber wer einen Restaurantbesuch plant, kann sich auf Bookatable schon jetzt einigermaßen an den bereits vorgenommenen Bewertungen orientieren. Liest man außerdem die dazugehörigen Beurteilungen, die leider noch zu oft einsilbig sind, weiß man schnell, an welchen Bewertungen man sich gut orientieren kann.
Wie der Streit in Frankreich weitergeht? Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Aber ob gewollt oder nicht – die Verantwortlichen des Guide Michelin werden die erhöhte Medienpräsenz sicher erfreut zur Kenntnis nehmen.