Unsere Milch und das Auto.

Am Freitag hörte ich mit halbem Ohr im Radio irgendwas von wegen „Rückrufaktion“. Ich dachte: Wieder so eine Automarke, die in einigen Modellen aus Versehen durchbrennende Sitzheizungen eingebaut hat, die den Fahrern ihren Allerwertesten ankokeln können. Mir schien das alles halb so wild. Und ich hatte die ganze Geschichte auch schon wieder vergessen, als ich tags darauf an einem Kiosk vorbei kam und die Titelzeile von BILD las: So verseucht ist unser Essen.

Warum ich sofort an die Rückrufsache aus dem Radio denken musste, weiß ich nicht. Aber es schien tatsächlich um etwas ernsteres zu gehen als angebratene Pobacken. Ich zückte mein iPhone und musste im Internet nicht lange suchen, bis ich von der bakteriell verunreinigten fettarmen Frischmilch erfuhr, die zuhauf in Supermarktregalen – sozusagen Schläfer-mäßig – darauf wartet, uns angreifen zu können. Selbst Schuld, wer diese fettarme Plörre trinkt, dachte ich im ersten Moment, beruhigt, dass mich das Problem nicht betraf. Aber schon mit dem nächsten Gedanken war ich wieder auf Kurs. Darf natürlich nicht passieren sowas, klar. Außer dem amerikanischen Präsidenten und einigen anderen Typen, die mir unsympathisch sind, gönne ich auch niemandem den Durchfall, den man von dieser Milch bekommt.

Wie anfällig wir in Deutschland für derartige Lebensmittel sind, beweist der Umstand, dass gerade bei Grundnahrungsmitteln wie Milch nicht nur eine Marke betroffen ist, sondern gleich mehrere, wie im vorliegenden Fall. Milsani von Aldi Nord und Süd, Gut & Günstig von Edeka, K-Classic von Kaufland, Milbona von Lidl, Aro von Metro, Gutes Land von Netto, Tip von real und Ja von Rewe. Wollten Bösewichter die bundesdeutsche Bevölkerung für eine Weile außer Gefecht setzen – die Milch wäre eine prima Waffe.

Wenn konkurrierende Discounter und Supermarktketten viele ihrer Milchprodukte von nur einer Molkerei beziehen, braucht man nicht lange darüber grübeln, warum die Milchpreise so niedrig sind. Weil nur absolut kostengünstige Massenproduktion Milch zu diesem Preis möglich macht. Und wer ist schuld? Wir. Die Verbraucher im Land des preislich umkämpftesten Lebensmittelmarktes der Welt. Ja, das hören wir nicht gerne. Ist aber leider so.

Schnell stellte ich mir die Frage, wie zum Teufel man überhaupt herausfinden kann, welche Milch unter welchem Label betroffen ist. Die Antwort: Ein Blick aufs Genusstauglichkeitskennzeichen bzw. Identitätskennzeichen. Sie werden wahrscheinlich fragen: Bitte, was? Ja, so hab‘ ich im ersten Moment auch reagiert. Aber in einem Land, das gefühlt mehr Verwaltungsvorschriften als Einwohner hat, gibt es tatsächlich auch ein Genusstauglichkeitskennzeichen.

Laut Wikipedia ist ein „Genusstauglichkeitskennzeichen die amtliche Bezeichnung für ein EU-einheitliches Symbol, das auf amtlich geprüfte Schlachtkörper gestempelt wird. Seit 1. Januar 2006 existiert neben dem Begriff Genusstauglichkeitskennzeichen auch der Begriff Identitätskennzeichen. Das Identitätskennzeichen wird von Lebensmittelunternehmern auf sonstigen tierischen Erzeugnissen bzw. deren Verpackungen angebracht. Der Begriff Genusstauglichkeitskennzeichen wird z. T. fälschlicherweise auch für das auf Verpackungen angebrachte Identitätskennzeichen verwendet.“ Mit weiteren Einzelheiten dazu, die Bücher füllen könnten, möchte ich niemandem zur Last fallen. Gesagt werden soll nur noch, dass das Kennzeichen für die verseuchte Milch DE NW 508 EG lautet.

So unerquicklich die Sache mit der Milch auch ist – ein Blick ins Warnverzeichnis für problematische Lebensmittel offenbart weitaus Besorgnis erregendere Vorkommnisse.  Allen voran die in weit verbreiteteten Fleisch- und Molkerei-Erzeugnissen entdeckten Listerien sind gesundheitlich nicht nur heikel, sondern geradezu gefährlich. Da hilft eigentlich nur, die Finger von billigen Lebensmitteln zu lassen. Wir müssen unsere Einstellung zum Essen gründlich überdenken. Wir Deutschen neigen dazu, die Qualitätslatte bei technischem Gerät wie Auto, Smartphone oder Fernseher höher zu legen als beim Essen. Obwohl wir nur das Essen in unseren Körper lassen. Wer möchte schon Smartphones essen? Treue Leser dieses blogs kennen meine Haltung zur Qualität von Nahrung und auch meine unzähligen Beiträge über verseuchte Lebensmittel in den letzten eineinhalb Jahrzehnten. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen, wenn uns ein oft zu gedankenloser Konsum Sorgenmomente wie die aus der letzten Woche beschert.

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