Ernährungsreport 2020: Deutschland wie es isst.

„Die Wertschätzung für Lebensmittel ist gerade in der Corana-Krisenzeit gestiegen“, sagte Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, als sie vor wenigen Tagen den Ernährungsreport 2020 vorstellte, den das Ministerium in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut FORSA erarbeitet hat. Schon beim Blick auf die Vorbemerkungen zur Umfrage (hier komplett zum Nachlesen) sollten aufmerksame Leserinnen und Leser stutzig werden. Dort heißt es: „Die Erhebung wurde vom 6. Dezember 2019 bis 10. Januar 2020 mit Hilfe computer-gestützter Telefoninterviews (CATI) durchgeführt. Die Ergebnisse können mit den bei allen Stichprobenerhebungen üblichen Fehlertoleranzen (im vorliegenden Falle von +/- 3 Prozentpunkten) auf die Bevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland übertragen werden.“

Erst am 28. Januar gab es, laut epidemiologischem Bulletin des Robert-Koch-Instituts (RKI), den ersten Labor bestätigten COVID-19-Fall in Deutschland. Tage zuvor hatte es von Seiten des RKI noch geheißen, man schätze das aktuelle Risiko für Deutschland als gering ein. Preisfrage: Wie kann man anhand einer Umfrage, die Wochen vor dem ersten COVID-19-Fall in Deutschland durchgeführt wurde, die Erkenntnis ableiten, „die Wertschätzung für Lebensmittel sei in der Corona-Krise gestiegen“? Kann man natürlich nicht. Die Bundesministerin suggeriert hier etwas, das durch die Umfage nicht gedeckt und offensichtlich pure Spekulation ist. Was war in den Wochen vor und während des Lockdowns noch mal ständig ausverkauft? Genau: Klopapier. Und jetzt überlegen wir mal alle gemeinsam, wie sich daraus ein Zusammenhang zur gestiegenen Wertschätzung für Lebensmittel konstruieren lässt. Mir fällt spontan der vielfach kritisierte Gastauftritt von Julia Klöckner in der BILD-Sendung Kochen mit Lafer ein, wo der Spitzenkoch und die qualitätsbewusste Ministerin Frikadellen mit abgepacktem Supermarkt-Hackfleisch der untersten Haltungsform (1) zubereiteten. Haltungsform 1 bedeutet meines Wissens: Einem ausgewachsenen Schwein stehen 0,75 Quadratmeter Platz zu, einem Rind zwischen 1,5 und 1,8 Quadratmeter. Mindeststandard für Schlachttierhaltung in Deutschland.

Schaut man sich die Untersuchung weiter an, so scheint sich das veränderte Verbraucherbewusstsein tatsächlich in Richtung einer höheren Wertschätzung für Lebensmittel aus der Region entwickelt zu haben. Im Vergleich zum letzten Berichtszeitraum stieg die Bedeutung der Regionalität nämlich von 78% auf 83%. Allerdings wollen einige andere zutage geförderte Erkenntnisse für mich nicht so recht dazu passen. Denn auf einzelne Lebensmittelgruppen bezogen gefragt, erreichen lediglich Milch, Milcherzeugnisse, Eier, Brot- und Backwaren sowie frisches Obst und Gemüse Werte um 83%. Bei Fleisch und Wurst sind es nur 76%, bei Getränken 58% und bei pflanzlichen Alternativen zu tierischen Produkten sogar nur 18%.

Auch sonst finde ich einige Punkte, die mich mit Blick auf die Kernaussage irritieren. So ist bei den Befragten zum Beispiel die Bedeutung des guten Geschmacks gesunken (von 99% auf 98%). Gleiches gilt für „gesund“ (von 91% auf 90%) und „kalorienarm“ (von 36% auf 33%). Signifikant wichtiger geworden im Vergleich zum Vorjahr ist dagegen eine „schnelle und einfach Zubereitung“ von Lebensmitteln (von 48% auf 52%).

Offen und ehrlich gesagt, erscheint mir der Ernährungsreport kaum geeignet, die Entwicklung im Ernährungsverhalten in Deutschland zu spiegeln. Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderliegen können, sehen wir am Beispiel Lafer und Klöckner. Mich persönlich würde interessieren, wie sehr die Umfrageergebnisse mit dem tatsächlichen Kaufverhalten korrelieren. Vielleicht sähen wir dann klarer, wohin wir wirklich steuern mit unserem Ernährungsverhalten.

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