Ich hatte die Überschrift kaum hingeschrieben und wollte loslegen mit diesem Text, da geriet ich auch schon mit der Innenrevision meines Hirns aneinander: „Weißt du überhaupt, was ein Wert ist, du Vollpfosten?“ Mein Schreibhirn so: „Chill‘ mal deine base, Bruder, klar weiß ich das.“ War natürlich gelogen. Wir Journalisten wissen selten etwas genau. Sonst würden wir nicht irgendwas mit Medien machen, sondern was Anständiges. Zum Beispiel Quantenphysik. Die nämlich untersucht, warum bestimmte Größen nur feste Werte annehmen können. Jedenfalls so ungefähr.
Solange ungefähres Halbwisssen nicht zu gefährlichem Halbwissen mutiert, ist man als Journalist akzeptabel unterwegs. Also keine Sorge, ich werde mich nicht an einer quantenmechanischen Interpretation von Nahrungsmittelwerten versuchen. Schon aus Selbstschutz. Komplett irre werden will ich nicht, halbirre sein reicht.
Aber zu den Werten. Einige Wortschöpfungen sind auch Wertschöpfungen, sagen sie doch etwas über die Qualität eines Objekts aus. Da gibt es den Schrottwert, den Mehrwert, den Mindest- und den Höchstwert. Nicht zu vergessen: Restwert, Minderwert und Zeitwert. Mit den Begriffen lässt sich auch arbeiten, wenn es um Nahrungsmittel und Essen geht. Mehrwert durch Nahrungsmittel entsteht – und Marx bleibt da mal Außen vor – wenn Köche daraus Gerichte herstellen. Beispiel: Der Gastronom eines gehobenen Restaurants verkauft Geschmorte Ochsenbäckchen in Burgunderjus mit Pfifferlingen und hausgemachten Kartoffelklößen als Hauptgericht für 28 Euro. Den Wareneinsatz dafür schätzen wir mal auf 35%, also 9,80 Euro. Der Inhaber einer Pizzeria verkauft eine Portion Penne Gorgonzola für 9,80 Euro. Der Wareneinsatz dürfte bei kaum mehr als 15% liegen, wenn er gute Zutaten verwendet, also 1,47 Euro.
Jeder der daheim mal Ochsenbäckchen mit selbstgemachten Knödeln fabriziert hat, weiß, wie viel mehr Arbeitsaufwand das macht im Vergleich zu Pasta mit Gorgonzolasauce aus getrockneten Hartweizengrießnudeln. Der Wert eines Gerichts in der Gastronomie bemisst sich also im Kern an den Faktoren Wareneinsatz, Arbeitsaufwand und handwerklichen Fähigkeiten derjenigen, die es zubereiten. Jede studentische Aushilfskraft sollte in der Lage sein, Pasta Gorgonzola unfallfrei zuzubereiten, aber perfekt gegarte Ochsenbäckchen mit selbstgemachten Knödeln zu fabrizieren, dafür braucht es Personal mit Erfahrung und Geschick. Und das ist in der Regel nicht zum Stundenlohn einer studentischen Hilfskraft zu haben.
Natürlich ist das nur eine sehr grobe und in vielen Punkten angreifbare Betrachtung, zumal teure Zutaten nicht zwingend hochwertig sein müssen. Filet ist das teuerste Stück Fleisch vom Schwein. Aber es macht einen gewaltigen Unterschied, ob es von einem Bentheimer Bio-Freilandschwein stammt, beim Bauern um die Ecke gekauft, oder um Pferchvieh vom Discounter. Preislich sowieso. Die Fleischfabrikware kostet 9,99 Euro das Kilo, für das Filet beim Biobauern zahle ich 35 Euro. Legt man beide Stücke mal zum Braten nebeneinander in die Pfanne, sieht man, wie viel mehr Wasser die Fabrikware freisetzt, und beim Essen wird man nennenswerte Unterschiede in Biss und Geschmack feststellen können. Und selbst wenn man keinen so sensiblen Gaumen hat, um die Qualität bei einem unter reichliche Sauce servierten Stück Fleisch exakt zu beurteilen – als Gast möchte ich wissen, wo der Wirt sein Fleisch, aber auch andere Zutaten einkauft. Einigen Gastronomen ist es ohnehin ein Anliegen, ihren Gästen Transparenz zu bieten. Damit sie mit einem guten Gefühl in ein Stück Fleisch beißen können. Ist sowas wie ein indirekter Mehrwert.
Einer aktuellen repräsentativen Umfrage des ZDF zufolge befürworten 92 % der Bundesbürger strengere Gesetze für die Fleischindustrie, auch wenn dadurch das Fleisch deutlich teurer werden sollte. Die COVID-19-Ausbrüche in zahlreichen Fleischfabriken haben – deutlicher als je zuvor – offenbart, was in Deutschland bei der Fleischproduktion schon lange falsch läuft. Nun sind aber Fleischproduktion und Fleischkonsum zwei Seiten einer Medaille. Bedeutet: Wir Konsumenten haben es in der Hand, die Finger von Fleischprodukten zu lassen, die uns nicht geheuer sind. Tun wir’s einfach.