Zwei Dinge gehen im Weingeschäft grundsätzlich nicht zusammen: Ein herausragender neuer Bordeaux-Jahrgang kommt auf den Markt – und die Preise sinken. Obwohl das Wörtchen grundsätzlich im Juristensprech bedeutet, dass Ausnahmen möglich sind, musste man diese Ausnahmen in den vergangenen Jahrzehnten mit der Lupe suchen.
Aufmerksame Leser meines blogs werden sich vielleicht daran erinnern, welcher Wein meine vinophile Leidenschaft wach küsste: St. Émilion. Die typischen Roten aus diesem Anbaugebiet werden zumeist als Cuvée mit hohem Merlot-Anteil vinifiziert, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc finden ebenfalls Verwendung. St. Émilion gehört – wie sein Nachbar Pomerol – zum so genannten rechten Ufer der großflächigen Appellation Bordeaux, während Medoc und Haut-Medoc das linke Ufer prägen. Gemeint sind die Ufer der Flüsse Garonne und Dordogne, die beide ins atlantische Becken der Gironde münden, wobei die Fließrichtung die Zuordnung für Links und Rechts vorgibt. Zahlreiche Satelliten-Appellationen komplettieren das Gesamtbild aller zur Weinregion Bordeaux zählenden Anbaugebiete.
Weil es der Ausgangspunkt meiner Weinleidenschaft ist, verfolge ich bis heute mit großem Interesse, was sich bei den Jahrgängen in Bordeaux tut. Normalerweise besuche ich dafür die Seiten von Heiner Lobenberg. Heiner ist im Frühjahr immer in Bordeaux, um Fassproben zu verkosten und sich ein Bild von der Qualität des jüngsten Jahrgangs zu machen. Wie seinem Blog zu entnehmen ist, schaffte er es sogar im Corona-lockdown runter nach Frankreich. So konnte er, unter teils abenteuerlichen Umständen, den mit reichlich Vorschusslorbeeren gesegneten 2019er Jahrgang höchstselbst und vor Ort beurteilen.
Nun muss man wissen, dass die 2019er Rotweine jedes besseren bis herausragenden Chateau noch längst nicht auf Flaschen abgefüllt sind, sondern noch ein bis zwei Jahre in Eichenfässern vor sich hin reifen, bevor sie weit genug sind und ausgeliefert werden. Da der Weinmarkt für Bordeaux aber auf besondere Weise funktioniert (mit Vorbestellungen und Bezahlung lange vor Abfüllung und Versand) ist es für potentielle Käufer wichtig zu wissen, mit welcher Qualität sie rechnen können. Wein ist nun mal ein Naturprodukt, enorm abhängig vom Wetter, und das ist eben nicht in jedem Jahr gleich, dazu kommen die Veränderungen durch den Klimawandel.
Warum warten Käufer nicht einfach ab bis der Wein abgefüllt und fertig für die Auslieferung ist? Ganz einfach: Weil sie den Wein dadurch deutlich günstiger bekommen, was besonders für Händler wichtig ist. Und weil man auf diesem Weg sicher sein kann, dass man den Wein überhaupt bekommt. Manche weltweit begehrten Tropfen sind nämlich rasch vergriffen. Den Weingütern spült diese so genannte Subskription Geld in die Kassen, während ihr flüssiges Kapital noch im Weinkeller festliegt.
Leider hinderte die Corona-Pandemie viele Fachhändler und Journalisten daran, selbst nach Bordeaux zu reisen, um sich einen Eindruck vom 2019er Jahrgang zu verschaffen. Dass man viele Weine doch noch verkosten konnte, ist einer Initiative von Crus et Domaines de France zu verdanken, die kurzfristig alle namhaften Weingüter vom linken und rechten Ufer angeschrieben und um Fassmuster gebeten hatte. Die Resonanz war beeindruckend. Die Organisation nicht minder, denn für die vier Termine in Deutschland und je einen in der Schweiz und in Österreich schickte jedes Chateau per Overnight Express jeweils einen neuen Satz Flaschen mit Fassmustern. Ein immenser Aufwand also, der da betrieben werden musste. Ich ergriff in Düsseldorf Glas und Gelegenheit, und probierte innerhalb von zwei Stunden rund 30 Weine durch, versiert begleitet von Ralf Weilbächer, Key Account Director bei Crus et Domaines de France. Fassproben zu verkosten, um daraus das Entwicklungspotential eines Weins abzuleiten, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, für die es Erfahrung und Vorstellungsvermögen braucht. Da ich mittlerweile nur noch alle Jubeljahre mal Fassproben vor der Flinte habe, war ich sehr dankbar für den begleitenden Austausch mit Ralf.
Ausgerechnet die Weine aus Pomerol, die ich zugänglicher erwartet hatte, präsentierten sich noch etwas sperrig. La Conseillante zum Beispiel, ein Weingut, das ich in den frühen 1990ern ein paar Mal besucht und von dem ich mir immer ein paar wenige Flaschen mitgenommen hatte, weil mich der Wein begeisterte wie kaum ein anderer. Seither haben die vielen Preisexplosionen für Bordeauxweine auch La Conseillante so teuer gemacht, dass ich als Käufer raus bin. Wenn ich mich recht entsinne, zahlte ich vor Ort damals für eine Flasche umgerechnet kaum mehr als 40 DM. Heute sind Preise jenseits der 170 Euro Standard. Trotz aller Sperrigkeit ahnt man, welch‘ gewaltiges Potential in diesem 2019er Jahrgang von La Conseillante steckt.
Über kleine Unzugänglichkeiten hinweg betrachtet, offenbarte sich mir insgesamt ein Jahrgang, der sowohl vom linken wie auch rechten Ufer Großes erwarten lässt. Zum Abschluss der ohnehin schon großartigen 2010er Jahre kommt noch einmal ein Jahrgang der Superlative hinzu. Es hat wohl noch keine Dekade in der langen Geschichte der Bordeauxweine gegeben, die so viel Spitzenjahrgänge hervorbrachte. Nun sind bereits viele wunderbare Jahrgänge im Markt, und mit dem 2019 wird ein weiterer hinzukommen. Allerdings zu einer Zeit, wo nicht nur die Corona-Pandemie die weltweite Nachfrage ins Stocken bringt. Auch die ungewisse politische Lage in den USA vor den Präsidentschaftswahlen – was die drohenden Einfuhrzölle betrifft – sowie die Situation in Großbritannien vor dem Brexit drücken aufs Geschäft. Einige namhafte Weingüter haben deshalb ihre Preise für die Subskription des 2019er Jahrgangs um 30% gesenkt, worauf viele andere mitzogen. Weinliebhaber, die jetzt ein paar Euro fürs Aufstocken ihres Weinkellers erübrigen können, werden All in gehen. Denn lange wird diese Baisse wohl nicht anhalten. Und worin ließe sich besser investieren als in zukünftige Genussfreuden?
Hier die Weine, die mich bei der Verkostung besonders beeindruckt haben. Ich werde mich auch mal an Punktevergabe wagen, wohl wissend, dass das alles noch vage ist. Nehmt es also mit vorsichtiger Skepsis zur Kenntnis, liebe Leser. Es ist nicht mehr als ein Fingerzeig.
Saint Emilion: Château La Gaffeliere (95+/100), Château Yon Figeac (95+/100), Château Haut-Brisson (93+/100) Château Cadet Bon, Château Cantin, Château Pressac (alle 92+/100)
Pomerol: La Conseillante (96+/100), L’Eglise (93+/100), Clos Beauregard (92+/100)
Haut-Medoc: Château Citran (92+/100), Château Lamarque (92+/100)
Margaux: Château Labegorce (93+/100)
Saint-Julien: Château Leoville Barton (95+/100)
Saint-Estephe: Château Phelan Segur (96+/100)
Sauternes: Château Bastor Lamontagne (91+/100)