Industrieller Gemüseanbau im Regal: die Zukunft regionaler Versorgung?

„So geht das“, titelte der stern vorletzte Woche. Das Thema: Der neue Boom von nachhaltig und regional erzeugtem Gemüse. In der Geschichte erzählt die geschätzte Kollegin Frauke Hunfeld von start ups in Deutschland, die auf sehr unterschiedliche Weise eine regionale Versorgung fördern und damit einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen. Weg von den langen Transportwegen, von Ressourcen verschlingenden Plantagen, die Unmengen Wasser und Strom verbrauchen, hin zu verantwortungsvollen, umweltfreundlichen Lösungen. Wie das ganz im Kleinen aussehen kann, darüber hat der kompottsurfer in der Vergangenheit immer mal wieder berichtet, zum Beispiel hier und hier.

Wenn von Regionalität im Zusammenhang mit Lebensmitteln die Rede ist, muss aber zunächst die Frage geklärt sein: Was kennzeichnet Regionalität? Für mich sind dabei folgende Aspekte von Bedeutung:

1. Anbau autochtoner (regional urwüchsiger) Gemüse- und Obstsorten
2. Ackerböden mit ortsspezifischer Bodenstruktur
3. Mikroklima
4. Verarbeitung vor Ort
5. regionaler Vertrieb

Ich halte es allerdings für nicht realisierbar,  Metropolen wie das Ruhrgebiet eines Tages komplett aus regional angebauten Erzeugnissen von Bauern, Kleingärtnern und privaten Anbaukooperativen versorgen zu können. Weshalb man sich durchaus mit Alternativlösungen befassen sollte, wie sie zum Beispiel das Berliner start up infarm entwickelt hat. Das Unternehmen macht sozusagen Smart Gardening in groß, angelegt als industrielles Konzept. Wobei ich bei der Gelegenheit klarstellen möchte, dass der Begriff Industrie in Zusammenhang mit Nahrungsmitteln nicht zwingend negativen Beigeschmack haben muss. Auch jede vorbildliche Biomilch-Produktion durchläuft einen industriellen Prozess, gleiches gilt für Käse, Wein, Bier. Man muss also schon anders hinschauen, um qualitative Unterschiede auszumachen.

Mehr als 100 Millionen Euro hat infarm Medienberichten zufolge bereits an Investorenkapital einsammeln können. Sogar Spitzenköche wie Tim Raue kooperieren mit dem Unternehmen, nutzen deren Technologie, um Kräuter in ihrer Restaurantküche wachsen zu lassen. Man braucht weder Erde, noch Sonne oder Regen, und dem Traditionalisten in mir kommt das gespenstisch vor. Auf der anderen Seite fasziniert mich High Tech, und der Öko in mir ist der Ansicht, dass es auf Dauer nicht so weitergehen darf mit unserer Art Nahrungsmittel herzustellen, Prinzip Nach-mir-die-Sintflut. Deshalb bin ich Ideen wie denen von infarm gegenüber aufgeschlossen. Außerdem will ich im Rentenalter noch mal für ein paar Jahre auf dem Mars leben, und da will ich ja nicht verhungern. Vielleicht baut mir die Fiege-Brauerei noch eine Smart-Brewing-Appartur, damit ich wenigstens leckeres Pils habe, da draußen.

Ganz so neu ist die Idee der industriellen Herstellung von Lebensmittel-Grundprodukten übrigens nicht. Schon seit Jahrzehnten wird unser Bedarf an Champignons aus Zuchtfarmen gedeckt, wobei diese „Kulturpilze“ noch Erde brauchen. Wenn man über Ludwig XIV irgendetwas Positives sagen will, dann vielleicht, dass er dabei half, den Zucht-Champignon in der Landwirtschaft zu etablieren. Bis zu den Zuchtfarmen hat es dann ungefähr 300 Jahre gebraucht, so lange wird es – da lege ich mich fest – fürs Etablieren einer weitreichenden Gemüseproduktion aus der Röhre nicht brauchen. Falls es doch so lange dauert, muss ich auf dem Mars wohl verhungern. Und das kann ja keiner wollen.

Realistisch betrachtet, könnte uns ein Mix aus traditioneller und digitaler Lebensmittelproduktion weiterhelfen. Zumal viele von uns – mich eingeschlossen – nicht auf traditionell hergestelltes Gemüse und Obst verzichten wollen. Ich bin sicher, Faktoren wie Boden, Sonne, Mikroklima und regionaltypische Sorten haben einen so großen Einfluß auf die Aromenvielfalt der Produkte, dass auf absehbare Zeit kein standardisiertes Verfahren Ähnliches hervorbringen kann. Als Genussmensch kann ich nicht darüber hinweg essen. Aber eine Tomate aus der Röhre würde ich – der Umwelt zuliebe – ihrem Pendant aus spanischen Gewächshäusern vorziehen, wenn ich, außerhalb der Saison, mal welche verarbeiten will. Und so viel schlechter werden die sicher auch nicht schmecken.

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