Vor einigen Jahren trainierte ich regelmäßig mit einem Sportkollegen, der unbedingt ein Sixpack wollte. Nennen wir ihn hier mal Peter. Peter tat eine Menge dafür, wie er meinte. Er ging regelmäßig laufen, machte Krafttraining, spielte Fußball und ernährte sich ausgewogen. Trotzdem wurde er seinen leichten Bauchansatz nicht los.
Da Peter wusste, dass ich mich ausgiebig mit Sport und Ernährung beschäftige, fragte er mich immer wieder, was er noch tun könne. Meine Lieblingsantwort: Wenn du ein Sixpack willst, geh‘ in den Getränkemarkt, und kauf‘ dir ein Fiege-Häuschen. Er lachte dann kurz, und ich hatte erstmal erreicht, was ich wollte – er wurde lockerer. Mit Verbissenheit kommt man dem Thema Ernährung nämlich nicht bei, davon bin ich überzeugt. Essen ist nicht nur Sättigung, sondern auch Genuss, vor allem aber Teil unseres Sozialverhaltens. Wir Menschen essen, um zu feiern oder uns zu belohnen, um Entspannung zu finden oder Trost. Solange wir das nicht verinnerlicht haben, hat jeder Versuch die eigene Ernährung zu verändern beste Chancen, krachend zu scheitern.
Über Monate besprachen wir seine Ernährung, und ich gab verschiedene Tipps, die aber alle nicht zum gewünschten Ziel führten. Was also tun? Peter überlegte ernsthaft, einen vierstelligen Betrag für eine Gen-Analyse zu investieren. So viel kostete das damals noch. Ich war erschrocken, wie ernst ihm die Sache war, ertappte mich aber auch dabei, den Betrag umgehend in Restaurantbesuche umzurechnen, die man dafür unternehmen könnte. „Warum willst du das überhaupt, das Sixpack?“, fragte ich ihn. Er schwieg eine Weile und sagte dann: „Weil mir nicht gefällt, wie ich bin.“ Ich weiß nicht mehr, was ich darauf antwortete, aber jetzt, wo ich darüber schreibe, kommt mir ein Zitat von Baruch de Spinoza in den Sinn, wonach es das Ziel unseres Lebens sei, zu sein, was wir sind und zu werden, was wir werden können. Aber was können wir werden? Klüger? Gelassener? Schlanker? Six-packiger? Können uns die Gene vielleicht sagen, ob wir das werden können, was wir werden wollen auf der Basis dessen, was wir sind?
Das Thema hat jedenfalls Hochkonjunktur. Es vergeht kaum eine Woche, wo ich nicht in irgendeiner Zeitschrift, TV- oder Radiosendung mit Beiträgen über die Frage nach der Nützlichkeit von Gen-Tests konfrontiert werde. Meist mit Bezug auf individuell passende Diäten. Tatsächlich können Gene zum Beispiel Auskunft über den Fettstoffwechsel geben, wie das Protein APOE4. Es soll hohe Cholesterinspiegel begünstigen, die wiederum mit einem erhöhten Risiko für Arteriosklerose in Verbindung gebracht werden. Wenn ich das weiß, könnte ich also auf bestimmte fettreiche Nahrungsmittel verzichten, die nachweislich negative Auswirkungen auf den Cholesterinspiegel haben. Aber die wenigen, die das tun, sollten wir ohnehin meiden. Zumal die Geschichte mit den Fetten und dem Cholesterinspiegel sowieso eine so komplizierte wie umstrittene Angelegenheit ist, wie ich in anderen Beiträgen schon mehrmals erwähnte. Wo liegt also der Nutzen? Und wenn es tatsächlich stimmt, dass APOE4 auch als Marker für ein erhöhtes Risiko steht, an Alzheimer zu erkranken, dann frage ich mich: Will ich das wirklich wissen? Solange kein Kraut gegen Alzheimer gewachsen ist, vermutlich nicht.
Als Erfolg versprechendes Mittel gegen Übergewicht, sehe ich Gen-Tests eher nicht. In Einzelfällen mag es sinnvoll sein, aber wie schon die Ergebnisse der europäischen Studie food4me nahelegen, ist nicht die Tiefe des Hintergrundwissens und der Ernährungsberatung wichtig (die ja auch nach einem Gen-Test erfolgen soll), sondern der Umstand, dass überhaupt eine Beratung stattfindet. Womit ich wieder bei meinem Kumpel Peter wäre. Was soll ich ihm sagen? Er hat kein Übergewicht, ist auch ansonsten kerngesund und treibt regelmäßig Sport. Ich werd‘ ihm wohl wieder sagen: Wenn du ein Sixpack willst, geh‘ in den Getränkemarkt und kauf‘ dir ’nen Fiege-Häuschen mit sechs Bügelflaschen Pils.