Eating the Gap – Ernährung zwischen Überfluss und Hunger: Spitzenköche und Produzenten wollen Wandel einleiten

Unser Ernährungssystem ist zusammengebrochen! So drastisch formulieren es die Veranstalter der internationalen Ernährungskonferenz Eating the Gap, die am 16. November 2020 im belgischen Gent stattfinden wird. Angesichts voller Supermarktregale und Frischetheken mag der Begriff Zusammenbruch übertrieben sein, aber dass wir darauf zusteuern, können wir kaum wegdiskutieren. Die Lücke zwischen Überfluss und Hunger in der Welt ist offensichtlich, und aufmerksame Zeitgenossen wissen nicht erst seit den Corona-Ausbrüchen in zahlreichen Großschlachtereien, welche erschreckenden Ausmaße Fleischproduktion samt Massentierhaltung in den letzten Jahrzehnten erreicht haben und unter welchen Bedingungen das alles passiert. Auch an anderen Stellen sind dringend Lösungen gefragt, zum Beispiel, wenn es um den Beifang in der Fischerei geht, der tonnenweise und verendet im Meer verklappt wird.

Auch wenn es uns nicht gefällt: Wir, die Konsumenten, haben erheblichen Anteil an dieser gefährlichen Entwicklung. Gefährlich deshalb, weil wir die Nahrungsmittel-Ressourcen für uns und nachfolgende Generationen aufs Spiel setzen. Und weil, wie das Das Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz berechnet hat, “die Ernährung jährlich mit rund 1,75 Tonnen an klimarelevanten Emissionen pro Person zu den Treibhausgasemissionen durch privaten Konsum” beiträgt und damit “fast in derselben Größenordnung wie bei den Emissionen durch Mobilität in Deutschland” liegt. Womit wir wieder bei der Diskussion um eine CO₂-Kennzeichnung für Lebensmittel wären (der kompottsurfer berichtete darüber hier). Eine Überlegung, die man im Blick behalten sollte, wie ich finde.

Was mich persönlich – nach der Massentierhaltung – am meisten schockiert, sind Geringschätzung und Gedankenlosigkeit vieler Konsumenten, wenn es ums Essen geht. Über 80 Kilogramm Lebensmittel wirft jeder Bundesbürger im Durchschnitt pro Jahr in den Müll. Kein Wunder, mancher Leute Kühlschränke sind vollgepackt, als gelte es, eine 8-köpfige Familie zu versorgen, selbst wenn nur ein Pärchen und ein Mops zum Haushalt gehören. Alle paar Wochen, wenn wirklich nix mehr in die Ablagefächer passt, wird dann ausgemistet. Und reichlich Zeug mit ablaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) landet im Müll. Wobei abgelaufene MHDs noch längst nicht bedeuten, dass die Ware ungenießbar ist.

In Supermärkten und bei Discountern läuft es zumeist nicht anders als in Privathaushalten. Wenn das MHD abgelaufen ist und die Ware zum reduzierten Preis nicht verkauft werden konnte, landet das Zeug im Container. Und wenn jemand was da rausfischen will, landet er möglicherweise auf der Anklagebank. Verrückte Welt. Sogar das Bundesverfassungsgericht hat sich kürzlich mit der Thematik befasst. Es galt hier, juristische Tatbestände von Eigentumsdelikten beim Containern und Fragen des Gemeinwohlbelangs in Zusammenhang mit Lebensmittelverschwendung abzuwägen. Weil das Gericht keine ausreichende verfassungsrechtliche Bedeutung in der Beschwerdestellung erkennen konnte, wurde der Antrag zweier Studentinnen aus Oberbayern nicht zur Entscheidung zugelassen. Sie waren zuvor von einem Amtsgericht zum Ableisten von Sozialstunden wegen Diebstahls verurteilt worden.

Jetzt wird viel darüber diskutiert, ob Containern entkriminalisiert werden soll, aber meines Erachtens zäumt man das Pferd damit von hinten auf. Betriebe, die mit Lebensmitteln handeln, sollten in der Pflicht sein, Resteverwertung zu ermöglichen. Sei es in Kooperation mit Initiativen wie Die Tafel oder auf andere Weise. Nur so bekommt man in die Köpfe, dass Nahrungsmittel wertvoll sind. Wenn uns Verpackungen wertvoll genug für Recycling sind, sollten uns Nahrungsmittel erst recht wertvoll genug sein, sie nicht einfach in die Tonne zu kloppen.

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