Ich weiß nicht, wie oft ich den letzten zwei Jahrzehnten von Ärzten nach meinen Blutzuckerwerten gefragt wurde. Ich weiß nur: Es war oft. Der Augenarzt, der Hautarzt, der Zahnarzt, der Neurologe – immer wieder sah man Anhaltspunkte für eine Kontrolle meiner Blutzuckerwerte. Und natürlich ließ ich jedes Mal testen, zumal ich um meine genetische Disposition für Diabetes weiß. Zum Glück war immer alles im Grünen Bereich. Kommentar meiner Hausärztin: Du kannst froh sein, dass du dich richtig ernährst und viel Sport machst, sonst wärst du längst ein Fall für medikamentöse Behandlung. Tut auch mal gut, so was zu hören.
Diabetes kann viele unspezifische Symptome ausbilden, und auf jeden diagnostizierten Fall in Deutschland kommt ungefähr ein nicht diagnostizierter. Statista meldet insgesamt 9,5 Mio an Diabetes (Typ I und II) erkrankte Bundesbürger, von denen 4,5 Mio gar nicht wissen, dass sie erkrankt sind (Stand 2019). Die Zahl der Unwissenden wird auf Basis mathematischer Modelle hochgerechnet, und auch wegen dieser immens hohen Zahl weisen viele Ärzte ihre Patentienten auf Abklärung ihres Blutzuckerspiegels hin, sobald sie auf Symptome stoßen, die mit Diabetes in Zusammenhang stehen könnten.
Mit Blick auf die Corona-Pandemie ist das Wissen um die hohe Zahl unwissentlich Erkrankter erst recht ein ernstes Problem, da Diabetes-Patienten bei Covid-19-Infektionen zu den besonders gefährdeten Personen zählen. Laut einer Studie von Wissenschaftlern der Universität Nantes ist die Gefahr für einen schweren Verlauf bei Diabetikern signifikant erhöht. Wer aber gar nicht weiß, dass er gefährdet ist, verhält sich möglicherweise auch nicht so vorsichtig wie es angebracht wäre. Tückisch.
Im Rahmen der 14. Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), die am kommenden Wochenende stattfindet, berichten Experten auch über die neuesten Erkenntnisse in Sachen Diabetes-Prävention. Abgesehen von ausreichend Sport und Bewegung ist die Ernährung ein zweiter wichtiger Faktor für einen erfolgreichen Kampf gegen die Krankheit.
Aktuelle Studien legen nahe, dass zwei Diät-Modelle Erfolg versprechen: Low-Carb und traditionell-mediterrane Diät. „Aber was gut ist, muss nicht jedem gut schmecken“, erläutert Professor Dr. med. Diana Rubin, Chefärztin und Leiterin des Zentrums für Ernährungsmedizin am Vivantes Klinikum Spandau und Humboldt-Klinikum Berlin. So komme die mediterrane Diät bei Nordeuropäern oft nicht gut an. Deshalb empfiehlt sie, Gerichte und Inhaltsstoffe regionaltypisch abzuwandeln. Auch haben Fleischesser wenig Interesse daran, plötzlich vegetarisch zu leben. „Dem müssen wir Rechnung tragen und den Speiseplan für alle Zielgruppen entsprechend attraktiv gestalten“, sagt sie.
„Neben dem reinen Kaloriengehalt entstehen die protektiven Effekte vor allem über die einzelnen Lebensmittelinhaltstoffe. Beispielsweise ist die Qualität der Kohlenhydrate und Fette entscheidend“, sagt Rubin, die Gesundheitsprävention auch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht. So sei die Lebensmittelindustrie gefragt, wenn es um qualitativ hochwertige und gesunde Inhaltsstoffe ihrer Produkte geht. Dies sei nur über eine verpflichtende und eindeutige Kennzeichnung kritischer Nährstoffe, eine verpflichtende Reformulierung kritischer Lebensmittel bis hin zu Werbeverboten zu erreichen.
Das sind klare Botschaften, die Unterstützung verdienen. Wobei ich an dieser Stelle einwenden möchte, dass man den Produkten der Lebensmittelindustrie nicht hilflos ausgesetzt ist. Gesunde Ernährung wie ich sie verstehe, setzt nämlich nicht auf hochverarbeitete Lebensmittel, sondern auf möglichst unverarbeitete Grundprodukte, frisch, saisonal und möglichst aus der Region. Damit hat man schon einen wichtigen Grundstein für eine erfolgreiche Prävention gelegt. Wer darüber Sport und Bewegung nicht vergisst, ist bestens gerüstet. Das wichtigste aber ist: Man sollte das alles nicht nur versuchen, sondern wirklich machen.