Restegericht: Semmelknödel mit Püree von Rote Beete.

Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muss durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab. Die Umstände, die mir beim Kochen ausgerechnet ein Zitat von Friedrich Engels durch den Kopf gehen ließen, kann ich nicht restlos aufklären. Ich war jedenfalls gerade dabei, über die Verwendung von Essensresten vom Wochenende nachzudenken und blätterte deshalb im alten Kochbuch meiner Oma, geschrieben 1845 von Henriette Davidis aus Dortmund.

Satte 121 Restegerichte führt die einflussreichste deutsche Kochbuchautorin des 19. und 20. Jahrhunderts in ihrem Werk auf und ist damit gerade heute wieder ein Musterbeispiel für Ressourcen schonenden Umgang mit Nahrungsmitteln. Die gab es in Deutschland damals nicht im Überfluss. Im Gegenteil, allzu oft herrschte Mangel, Armut sowieso. Wohl auch deshalb hielt Davidis es für geboten, im Anhang ihres Praktischen Kochbuchs über Die Kunst des Wirtschaftens zu schreiben, die ihrer Ansicht nach auf drei Grundbedingungen beruht: Barzahlen – Buchführen – planmäßig haushalten. Borgwirtschaft hält sie für schädlich. Zugegeben, ich musste das in altdeutscher Schrift geschriebene Wort mehrmals lesen, bis ich den Sinn verstand. Cyborg? Björn Borg? Kastrierter Eber Borg? Ach nee, borg von borgen.

Während Davidis im Sprockhöveler Haus Heine an ihrem Kochbuch schrieb und einen Frauenverein betrieb, der „arme Kinder weiblichen Geschlechts“ in Kochen und Handarbeit unterrichtete, saß nur wenige Kilometer entfernt, im Städtchen Barmen, ein gewisser Friedrich Engels und arbeitete an seinem Werk Über die Lage der arbeitenden Klasse in England. Der Sohn eines begüterten Textilfabrikanten hatte die katastrophalen Lebensbedingungen der Arbeiter in Manchester und die Auswirkungen der Weberaufstände daheim erlebt. Er hatte sich mit Karl Marx angefreundet, dessen Leben mitfinanziert und mit ihm zahlreiche Schriften erarbeitet. Der Unternehmersohn war zum kommunistischen Revolutionär geworden. Sein Geburtstag jährte sich vor wenigen Tagen zum 200. Mal, und das mediale Echo darüber war wohl der Grund, warum ich plötzlich über Engels nachdachte, während ich Henriette Davidis‘ Kochbuch nach Restegerichten durchsuchte. Mensch, der Kerl wohnte doch gleich nebenan. Hatte seine Haushälterin (ich bin ziemlich sicher, dass für seine begüterte Familie eine solche tätig war) bei Henriette Davidis das Kochen gelernt? Hatte Engels die umtriebige und engagierte Davidis vielleicht sogar mal persönlich kennengelernt?

Solche Gedanken spukten mir im Kopf herum, obwohl ich doch eigentlich nur ein altbackenes Ciabatta und 200 g Reste von gekochter Rote Beete zu einem möglichst schmackhaften Abendessen verwursten wollte. Ich klappte das Kochbuch wieder zu, ohne etwas Passendes gefunden zu haben und dachte: Dir wird schon was einfallen. Und tatsächlich kam mir recht schnell eine Idee. Möge Ciabatta zu Semmelknödeln und Rote Beete zu Püree werden. Sogleich wurde frei Schnauze losgelegt. Das ging so:

Zutaten für 3 Personen  als Hauptgericht oder 6 Personen als Vorspeise (6 Knödel): 300 g altbackenes Ciabatta // 1 mittelgroße rote Zwiebel // 40 g getrocknete Tomaten // 200 g Harzer Käse // 100 ml frische Vollmilch // 2 Bio-Eier // 200 g gekochte Rote Beete // Scharfer Senf // Sahne-Meerrettich // einige Zweige frischer Majoran (ersatzweise getrocknet) // Apfelessig // Salz // Schwarzer Pfeffer // Olivenöl // Butter

Zubereitung: Brot und Käse in kleine Würfel schneiden, Majoranblättchen von den Zweigen zupfen und alles zusammen mit 2 TL Salz in eine große Schüssel geben und vermengen. Zwiebel fein und getrocknete Tomate etwas größer würfeln und in zerlassener Butter in einem kleinen Stieltopf bei Drittelhitze anschwitzen. Nach gut zwei Minuten mit der Milch ablöschen und einige Minuten auf kleinster Flamme ziehen lassen. Eier kurz aufschlagen und heißen Milch-Tomatensud zugießen. Anschließend das Ganze zu den Brotwürfeln und allen anderen Zutaten geben und mit einem Löffel grob vermengen. Masse gut 15 Minuten ruhen lassen.

Rote Beete grob würfeln und in Olivenöl anschwitzen. Etwas Gemüsebrühe zugeben, bis die Beete knapp bedeckt sind. Einmal kurz aufkochen, dann einige Minuten ziehen lassen.

Knödelteig ausgiebig kneten und gegebenenfalls im Knetverlauf mit einem Schuss Mineralwasser nachfeuchten, falls die Masse zu bröselig sein sollte. Zu einer ca. 20 cm breiten Rolle ausformen und in 6 gleiche Teile schneiden.

Rote Beete mit dem Zauberstab pürieren und mit 1-2- EL Apfelessig, je 1 TL Senf und Meerrettichsahne sowie Salz und Pfeffer abschmecken. Warm halten, aber nicht mehr aufkochen.

In einer Pfanne reichlich Butter zerlassen und die Knödel darin zugedeckt bei mittlerer Hitze beidseitig anbraten und garen. Die Oberflächen sollten am Ende schön knusprig braun aussehen. Püree in tiefe Teller geben, Knödel einsetzen und mit ein paar Majoranblättchen garnieren. Fertig.

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