Möhren haben kein gutes Ansehen im Ruhrgebiet. Warum sonst sind sie so ein gern genommenes Synonym für schrottreife Autos und Mopeds? Unzählige Mal wurde mein alter Passat Kombi – den ich als 22-jähriger fuhr – als Möhre verunglimpft. Was nicht an der orangen Farbe des einstigen Dienstfahrzeugs von Müller’s Mühle lag, sondern am abgerockten Zustand der Kiste, mit Dellen, Rost und einer schwarzen Beifahrertür, die nach einem Unfall eingebaut, aber nicht nachlackiert worden war. Schlappe 150 DM hatte mich das Gefährt damals gekostet, zwei Jahre TÜV inklusive. Es hielt ein Jahr ohne Reparaturen durch, und ich schaffte 30.000 Kilometer und eine Tour nach Schweden damit, bis es auf der B1 in Dortmund, kurz vor den Westfalenhallen, an Motorversagen starb. Kann man nicht meckern, oder?
Genausowenig wie über Möhren. Wie alte Autos haben sie keine Herabwürdigung verdient. Das Thema beschäftigte schon Goethe, der fragte: „Karotten, willst meiner spotten?“ Wollen wir nicht. Ganz im Gegenteil.
Karotten bzw. Möhren (ich verwende die Begriffe synonym) haben mehr zu bieten als viele andere Gemüsesorten. Angefangen bei den Inhaltsstoffen. Kein Gemüse weist auch nur annähernd viel Provitamin A (β-Carotin) auf, dessen zellschützenden und anti-oxidante Wirkung nachgewiesen ist. Bei den Mineralstoffen ragt der Natriumanteil heraus, wichtig für die Regulation des Säure-Basen-Haushalts im Körper und für die Steuerung von Muskelkontraktion und Nervenimpulsen. Möhren wirken zudem magensaftregulierend und aufgrund ihres Pektingehalts gut gegen Durchfall, wenn man sie roh und gerieben isst. Pektin ist ein Polisaccharid mit wasserbindender und gelierender Wirkung, weshalb es auch bei der Herstellung von Marmeladen eingesetzt wird.
Haken wir noch den letzten Aspekt abseits der Genussfragen ab: Regionalität und Nachhaltigkeit. Möhren wachsen gut in heimischen Gärten, können drei Mal im Jahr angebaut werden, sind vergleichsweise robust und bleiben im Gemüsefach des Kühlschranks gut und gerne 14 Tage frisch. Nur sollten sie dort weder in Folie verpackt sein, noch neben reifem Obst liegen.
Wer Möhren schon öfter zubereitet hat, wird wahrscheinlich festgestellt haben, wie unterschiedlich sie roh und gegart schmecken. Die Wissenschaft bestätigt das subjektive Empfinden: Schon das Blanchieren von Karotten führt zu deutlichen Aromaveränderungen wie kanadische Forscher herausfanden. Innerhalb von nur 60 Sekunden Blanchieren nahm die ursprünglich dominante Aromenintensität um 50% ab und verschob sich zum Aromaprofil gekochter Karotten. Auch Farbe, Textur und Süße veränderten sich.
Gekochte Möhren schmecken deutlich süßer als rohe, und je länger sie gekocht werden, um so süßer wird’s für meinen Geschmack. Sollte man bei der Verarbeitung auf dem Schirm haben, kann ein komplettes Gericht ruinieren, wenn man nicht aufpasst.
Als ich neulich an einem Möhrensalat werkelte, um ihn als Beilage zu Kotelett vom Ruhrschwein und Kartoffelstampf zu servieren, verklappte ich ein paar Reste Blattpetersilie in die Möhrenmasse. Und staunte nicht schlecht, wie gut das zusammenpasste. Ich ging der Sache auf den Grund, durchforstete ein Lehrbuch zur Lebensmittelchemie und ein paar Studien im Netz und siehe da: Möhren und rohe Petersilie enthalten ein gleiches Schlüsselaroma: Myrcen.
Wer mein Möhrensalatrezept mal ausprobieren möchte, hier die Einzelheiten:
Zutaten: 800 g Möhren // 2 Schalotten // 6 EL Olivenöl (extra Vergine) // 2 EL Apfelessig // 1 TL Salz // 2 TL scharfer Senf // 1/2 TL Honig // ein Bund Blattpetersilie // Muskatnuss // Schalenabrieb von einer kleinen Bio-Zitrone
Zubereitung: Schalotten fein würfeln und in etwas Butter glasig dünsten. Möhren schälen – vorher Enden entfernen – und anschließend grob in eine große Schüssel raspeln. Olivenöl mit Apfelessig, Senf und Honig homogen verrühren, Schalotten zugeben, und als Dressing unter die Möhren mengen. Salat mit Salz, Zitronenschalenabrieb und frisch geriebener Muskatnuss würzen und 30 Minuten durchziehen lassen. Anschließend noch mal abschmecken und gegebenenfalls mit Salz, Muskatnuss und Apfelessig nachwürzen. Es gibt über 20 handelsübliche Möhrensorten, die im Geschmack sehr unterschiedlich sein können, deshalb kommt dem finalen Abschmecken hier besondere Bedeutung zu.