Im Sommer 2020 hofften wir, die zweite Welle der Corona-Pandemie würde uns vielleicht erspart bleiben, obwohl Epidemiologen und Virologen uns das genaue Gegenteil vorrechneten. Die Politik hoffte auch. In einigen Teilen mehr, in anderen weniger. Und fabrizierte auf Grundlage der Hoffnung ein Wirrwarr, wie es sonst nur Katzen anrichten, wenn man sie auf ein Wollknäuel loslässt. Der Unterschied: Ein heillos verknotetes Wollknäuel kann man notfalls entsorgen oder den eigenen Kindern für einen Euro Prämie zum Entwirren hinlegen, darf auch dauern. Im verstrickten Regelwerk während der Pandemie dagegen mussten die Bürger schnell Anfang und Ende des Fadens finden, alle paar Wochen aufs Neue. Und bekamen sich darüber so heftig in die Wolle wie die zuständigen Personen in der Politik.
Im Sommer 2021 hofften wir, die vierte Welle samt Delta-Variante könnte uns am Arm vorbeigehen (pikant gesagt: am Deltamuskel), weil bis zum Herbst genügend Mitbürger geimpft sein würden. Wir hatten uns Ernst Blochs Erkenntnis zu eigen gemacht, dass es im Leben darauf ankommt, das Hoffen zu lernen. Und jetzt, wo wir das Hoffen mühsam gelernt haben, erkennen wir: Hoffen kann vergeblich sein, wenn wir damit Erwartungen verknüpfen. Zu Lernen, keine Erwartungen zu haben, ist die vielleicht noch größere Lebenskunst.
Damit könnte ich es natürlich gut sein lassen. Aber gut ist wenig im Moment. Die Impfmüdigkeit meiner Mitbürger beschwört einen unkomfortablen Herbst herauf. Delta ist fieser als gedacht, selbst Geimpfte können das Virus übertragen. Zwei Lauffreunde von mir hat es erst kürzlich erwischt. Sie sind doppelt geimpft und mussten plötzlich mit heftigen Erkältungssymptomen kämpfen. Zwei Schnelltests negativ, aber ein sicherheitshalber gemachter PCR-Test dann positiv. Zum Glück waren sie geschützt vor schweren Verläufen. Aber von den vielen ungeimpften Deppen, die glauben, an Ihnen würde das Virus spurlos vorüber gehen, werden einige wieder die Krankenhäuser belasten und Intensivbetten belegen und tun es bereits schon. Sie werden auch Kinder, die noch nicht geimpft werden können, infizieren. Die Kleinen erkranken zwar selten schwer an Covid-19, aber jeder einzelne Fall, der durch Impfung von Kontaktpersonen vermeidbar gewesen wäre, ist eine Schande. Im Urlaub bin ich mal wieder Essen gegangen. Weinstube Brand im pfälzischen Frankweiler, sehr empfehlenswert. Zum Glück hat das mulmige Gefühl beim Besuch von Restaurants und Cafés nachgelassen, seit ich voll geimpft bin. Es genießt sich wieder leichter, dank 3G. Geimpft, genesen oder getestet, das ist im Moment Standard in der Gastronomie. Wenn es nach mir ginge, sollte aber 2G Standard werden. Ausnahmen nur für Leute, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. Warum? Weil die Tests unzuverlässig sind und Delta auch Geimpfte als Virusverteiler nutzt, siehe oben. Da ist man dann geimpft, gibt das Virus trotzdem weiter (weil unsymptomatisch) und beschleunigt eine Gefährdungslage, die auch für Geimpfte Konsequenzen haben dürfte. Denn wer als Geimpfter immunsupprimiert ist, oder plötzlich einen Unfall hat, oder – wie kürzlich beim Hochwasser – mit vielen anderen in eine Notfallsituation gerät, kann dann möglicherweise nicht mehr adäquat versorgt werden, weil zu viele Impfverweigerer die Intensivbetten belegen.
In einer Pressemitteilung der DEHOGA Rheinland-Pfalz las ich nun kürzlich folgendes: Die freie Entscheidung jedes Einzelnen für oder gegen eine Schutzimpfung ist zu respektieren. In gleicher Weise ist das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit zu respektieren. Nachdem gewährleistet ist, dass bis spätestens 11.10.2021 jeder Impffähige einen Impfschutz erhalten kann, entfällt mit diesem Termin auch eine Rechtfertigung der Aufrechterhaltung von Corona-bedingten Beschränkungen, sowohl für den einzelnen Bürger als auch für unternehmerische Betätigungen,“ so Verbandspräsident Gereon Haumann. Ich will mal dahingestellt sein lassen, ob Impffreiheit und unternehmerischer Freiheit moralisch ähnlich zu gewichten sind, aber seine Forderung, die aktuelle 3-G-Regelung (geimpft – genesen – negativ getestet) um eine 2-G-Regelung (geimpft – genesen) als freiwillig wählbare Option für den Gastronomen ergänzen zu können, finde ich mehr als nur erwägenswert. Alle Beschränkungen (Abstand, Maskenpflicht, Raumbelegung, Datenerfassung usw.) könnten dann für Geimpfte und Genese in den Häusern entfallen, deren Gastgeber die 2-G-Option wählen.
Der Herbst wird also leider noch mal ernst aus epidemiologischer Sicht, weil zu viele Mitbürger nicht geimpft sind. Aber es wird dann kaum noch zu vermitteln sein, warum die Verantwortungsbewussten für die Verantwortungslosen ins Risiko gehen oder eingeschränkt werden sollen. Deshalb gerne 2G, wenn’s nach mir ginge.