Der Tag, an dem mich ein Rotwein für knappe drei Euro vom Hocker haute.

Zugegeben, ich hatte schon einige Weine verkostet an diesem Tag im August. Zwanzig, vielleicht auch dreißig mögen es gewesen sein, als mich plötzlich ein purpurfarbener Roter umhaute. Dabei war ich – Doppelschwör! – noch stocknüchtern. Alle probierten Weinschlucke hatte ich bis dahin nämlich ordnungsgemäß im Speikübel versenkt. Schließlich sind im benebelten Zustand kaum verlässliche Beurteilungen möglich, und die galt es zu treffen an besagtem Vormittag.

Was ich über den Wein wusste: Eine Cuvée aus Südafrika, die im Endverbraucherpreis unter zehn Euro kosten sollte. Schon beim ersten Reinriechen schwallte mir das ikonische Aroma der Rebsorte Pinotage entgegen, eine Kreuzung aus Pinot Noir und Cinsault. Ich entdeckte im Duft kräftige dunkle Beerenfrucht mit Noten von provencalischen Kräutern und eingekochten Erdbeeren, was den Wein aber keineswegs marmeladig wirken ließ. Am Gaumen Brombeeren, Schwarze Johannisbeeren, milde Gewürze, im Hintergrund Lakritz, Bitterschokolade und Kaffee, dazu eine gute Struktur mit angenehmen Tanninen und eine erstaunliche Länge. Wahrlich kein belangloses Weinchen – hier passiert richtig was. Ich tippte 89/100 in meine Bewertungstabelle und dachte mir: Wirklich nicht schlecht für einen Wein unter 10 Euro.

Als ich erfuhr, dass dieser Tropfen für nur 2,69 Euro beim Discounter im Regal steht, erschrak ich bis ins Mark. Was zur Hölle hatte ich da beurteilt? Wie konnte ich dermaßen danebenliegen? Denn eins war ja klar: Für 2,69 Euro kann man in Deutschland keinen Rotwein von gehobener Qualität kaufen. Oder doch? Ich probierte noch ein paar Mal nach, fand aber an meiner ursprünglichen Bewertung nichts auszusetzen. Das passte schon mit den 89 Punkten. Also wartete ich bis zum Ende der Verkostungsrunde auf den Moment, wo man mir offenbaren würde, dass ich einen Piraten im Glas gehabt hatte, für zwölfkommahaumichtot Euro. Nur passierte das nicht. Ich fuhr also voller Zweifel über mein Urteilsvermögen heim und ein paar Tage später in den Urlaub.

Den Wein aus der Probe hatte ich schon fast vergessen, als ich zum Einkaufen in der Pfalz bei Aldi-Süd vorbeischaute. Weil’s zuhause nur Aldi-Nord gibt, und die Südfraktion den Ruf hat, mehr exklusives Zeug am Start zu haben als die Kollegen aus dem Norden, durchforstete ich den riesengroßen Neubau ausgiebig nach Angeboten und blieb auch eine Weile in der Weinabteilung stehen. Da erinnerte ich mich plötzlich wieder an den erstaunlichen 2020er African Rock (W.O. Western Cape), Pinotage & Cabernet Sauvignon, den Aldi-Nord verkauft. Ich musste nicht lange suchen, bis ich ihn auch hier fand. Darüber hinaus eine weitere rote Cuvée des African Rock: Pinotage & Shiraz 2019 und 2020, Fairtrade gelabelt – für 2,89 Euro. Nahm ich natürlich beide mit.

Als ich mir das Etikett des 2019er Shiraz & Pinotage genauer ansah, entdeckte ich einen kleinen, runden Aufkleber: Falstaff 88 Punkte. Von einem auf den anderen Moment war ich wieder im Reinen mit meinem Urteilsvermögen. Und als ich im Feriendomizil auf der Website des Genussmagazins Falstaff nach dem African Rock suchte, fand ich auch die 2020er Cuvee aus Cabernet Sauvignon und Pinotage benotet vor: 89/100 Punkte.

Sicher werde ich jetzt nicht meine Überzeugung aufgeben, Wein am besten  im Fachhandel oder beim Winzer vor Ort zu kaufen. Weil dort Probiermöglichkeiten und Chancen bestehen, Weine zu finden, die einem persönlich am besten schmecken. Trotzdem war mir dieser African Rock eine Lehre in Sachen Demut und Vorurteile. Es gibt eben auch gute Weine beim Discounter, mitunter zu sehr günstigen Preisen. Ja, ich höre schon die berechtigten Einwände, von wegen wie sowas möglich ist. Ich weiß es nicht und will gar nicht darüber spekulieren. Was ich aber weiß: Dieser Wein hat mich überzeugt, und ich hätte auch noch bei einem VK von 8 Euro gesagt: tolles Preis-Leistungsverhältnis.

Wer den 2020er African Rock mal probieren will: Am besten mindestens 30 Minuten vor dem Trinken dekantieren. Ich bin übrigens sicher, dass dem Wein noch etwas Lagerzeit im Keller gut tut. Im nächsten Frühjahr oder übernächsten Herbst/Winter wird er sich vermutlich noch etwas harmonischer präsentieren.

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