Ruhrgebietsküche: Gerechtigkeit für Schlabberkappes!

Schlabberkappes mit Speck

Im Lexikon der Ruhrgebietssprache von Claus Sprick (HÖMMA, Straelener Manuskripte Verlag, 1989) wird Schlabberkappes als ein „zu weich gekochtes, breiiges, wenig schmackhaftes Essen“ herabgewürdigt. Autor Sprick war im Hauptberuf Richter, davon 15 Jahre am Bundesgerichtshof und mit gut begründeten Urteilen vertraut. Warum der in Bochum lebende Top-Jurist den Schlabberkappes in seinem unterhaltsamen Büchlein derart gnadenlos aburteilte, kann ich allerdings nur vermuten.

Kürzlich fragte mich mein Vater nach einem Rezept für Schlabberkappes. Er hat einige Jahre mehr auf der Lebensuhr als Sprick und die frühe Nachkriegszeit noch in lebhafter Erinnerung. Bochum war durch den Zweiten Weltkrieg schwer zerstört worden, es herrschte Armut („wir hatten ja nichts“) und die Leute kochten und aßen, was die Hinterhofgärten hergaben. Vor allem Kohl (Kappes) und Kartoffeln. Woraus man oft Schlabberkappes machte, zusammen mit Zwiebeln, ein paar Gewürzen und – an besonderen Tagen – auch mal mit durchwachsenem Schweinespeck. Es gab ziemlich oft Schlabberkappes in dieser Zeit, erzählt mein Vater, aber es waren wohl nicht nur die kulinarische Eintönigkeit und die psychologische Wirkung des Not-Essens, die den schlechten Ruf des Gerichts begründeten. Steckrübensuppe wollte nach Ende des Ersten Weltkriegs auch niemand mehr essen, der sie im Steckrübenwinter 1916/17 nahezu täglich auslöffeln musste – doch heute wird sie als köstlicher Klassiker der Regionalküche geliebt und von Spitzenköchen wie Christian Rach kreativ in Szene gesetzt.

Vielmehr muss es auch an der bescheidenen Zubereitung gelegen haben, die den Schlabberkappes als wenig schmackhaften Mampfbrei in Verruf brachte. Verwundern muss das nicht, hatten die Leute in der Nachkriegszeit reichlich andere Sorgen als sich chefkochmäßig an den Herd zu stellen, um in Ruhe und mit Zeitplan so ein Gericht auf den Tisch zu bringen.

Also überlegte ich, wie man Schlabberkappes zubereiten kann, ohne dass einem von dem Schlampampel gleich der Appetit vergeht. Hier meine erste Version, die sicher noch Verbesserungspotential hat. Wie immer halte ich mich nicht sklavisch an Vorgaben bei Zutaten und Zubereitung. Dieses Gericht war aus der Not geboren worden, von daher variierten die Rezepturen ohnehin stark, je nachdem was gerade verfügbar war.

Rezept für 4 Personen: 1 kg Spitzkohl // 1 kg festkochende Kartoffeln // 2 mittelgroße Zwiebeln // 250 g durchwachsener Räucherspeck am Stück mit Schwarte // 500 ml Rinderbrühe // 1 TL Scharfer Senf (z.B. aus der Schwerter Senfmühle) // 1 EL Apfelessig // 1 TL Tomatenmark // 1-2 TL Salz // Schwarzer Pfeffer aus der Mühle // 1 TL Fenchelsamen // ein paar Stängel glatte Petersilie

Vorbereitung: Spitzkohl der Länge nach vierteln, Strunk entfernen, in feine Scheiben säbeln und unter klarem Wasser abspülen. Zwiebeln pellen, halbieren, Strunk entfernen und in sehr feine Scheiben schneiden. Schwarte vom Speck abtrennen und ihn in ca. 1,5 cm kantenlange Stücke würfeln, ggf. vorhandene kleine Knorpelstücke aussortieren. Kartoffeln schälen, abwaschen und in ca. 3 cm große Würfel schneiden. Fenchelsamen in eine Gewürzmühle geben und mahlen. Petersilienblätter von den Stängeln zupfen. Auch alle anderen Zutaten griffbereit platzieren, damit man nichts vergisst, so wie mir das gerne mal passiert.

In einem großen und hohen Topf mit dickem Boden zunächst die Speckschwarte bei zweidrittel Hitze auslassen. Wenn reichlich Fettflüssigkeit ausgetreten ist, Schwarte entnehmen und beiseite legen. Im Fett die Hälfte der Speckwürfel leicht anbraten, entnehmen und in eine kleine Aufbewahrungsschüssel geben. Zwiebeln im Speckfett leicht anschmoren, dabei mit dem Senf und dem Tomatenmark vermengen. Unbedingt darauf achten, dass nichts anbrennt, um unangenehme Bitterstoffe zu vermeiden. Ist ein Drahtseilakt, weil die Zwiebeln einerseits ordentlich Hitze brauchen, um schöne Schmorsüße zu entwickeln, anderseits in der Tomatenmarkwälze ganz fix kohlrabenschwarze Stellen bilden. Macht’s also nicht so wie der Depp, von dem mir ein Freund mal erzählte – den ich aber zum Glück überhaupt nicht kenne. Der zockte während des Schmorens mal am iPad Marvel Strike Force, und während er da gerade mit Black Bolts Schallschrei allen Feinden 500% Schaden zufügte, war der Schaden auch im Topf angerichtet. Und der Schallschrei des Kochs ließ nicht lange auf sich warten.

Wenn man das Schmoren der Zwiebeln unfallfrei geschafft hat, löst man mit zwei, drei EL Rinderbrühe den Bratenansatz, gibt die Kartoffeln und die bereits angeschmorten Speckwürfel dazu, vermengt das Ganze mit der gemahlenen Fenchelsaat und lässt alles zwei Minuten ziehen. Anschließend in drei bis vier Schritten nach und nach den Kohl in den Topf geben, wobei im ersten Schritt die Speckschwarte dazu kommt, die hoffentlich nicht aus Versehen schon im Mülleimer entsorgt wurde. Mit jeder Ladung Kohl auch etwas von der Rinderbrühe mit in den Topf geben und alles immer vorsichtig vermengen, damit die Kartoffeln keinen Schaden nehmen. Jeweils nachgefüllt wird, wenn der Spitzkohl deutlich zusammengefallen ist. Mit der letzten Portion auch das Salz und den Apfelessig zugeben. Während der letzte Kohl zusammenfällt, die andere Hälfte des durchwachsenen Specks in einer Pfanne leicht knusprig anbraten. Da der Speck fett genug ist, braucht’s fürs Anbraten kein Butterschmalz oder sonstwas dazu.

Petersilie fein hacken, aber ein paar Blättchen zum Garnieren übrig behalten. Das grüne Hack unter den Schlabberkappes ziehen, probieren, ob die Kartoffeln gar und der Kohl weich genug ist und schließlich alles mit dem Pfeffer und gegebenenfalls noch etwas Salz zusätzlich abschmecken. Auf tiefe Teller geben, den Knusperspeck mittig obendrauf setzen (was ich fürs Foto leider verpeilt hab‘, natürlich nur, weil ich sooo Hunger hatte) und mit dem Petersilienblättchen garmieren.

Meine Weinempfehlung: 2019 // Riesling – Selection – Trocken // Pfalz // Nußdorfer Herrenberg // Weingut Karl Pfaffmann

 

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