Schimpanskoje: Das Affentheater um die Bezeichnung Champagner und der Streit zwischen Frankreich und Russland.

„Je köstlicher das Fluidum ist, mit dem ein Mensch sich berauscht, um so schwerer kann er geheilt werden. Der Rausch ist schöner, und die Folgen scheinbar nicht so verderblich. Wer sich im Branntwein berauscht, merkt bald die bösen Folgen, und kann auf Rettung hoffen. Wer aber seinen Durst in Champagner löscht, der wird schwerlich geheilt. “

Warum mir dieses Zitat von Sören Kierkegaard (mehr über den Zusammenhang hier) gerade jetzt wieder einfällt, hat mit einem Streit zu tun, der zwischen Frankreich und Russland über Schaumwein entbrannt ist – und mit meiner Vorliebe für unterirdische Wortspiele und an den Haaren herbeigezogenen Überleitungen.

Vor schnapszahligen 222 Jahren – anno 1799 – ließ Russlands Kaiser Paul I. auf der Krim angeblich erstmals Schaumwein unter der Bezeichnung Schampanskoje Krimskoje produzieren. Jener Paul I. also, der im gleichen Jahr Großmeister des Malteserordens wurde. Deren Wappen ziert den Branntwein Aquavit Malteserkreuz (der heute zum französischen Konzern Pernod Ricard gehört). Um die Nutzung der Bezeichnung Malteser Weißbier gab es vor Jahren mal einen Markenrechtsstreit zwischen den Aquaviten und der Stuttgarter Hofbräu. Aber das ist eine andere Erzählung und ein Bagetellstreit, verglichen mit der aktuellen Auseinandersetzung.

Obwohl die Geschichte des Schaumweins aus der französischen Region Chamapagne schon vor 350 Jahren ihren Anfang nahm, besteht erst seit 1936 Gebietsbezeichnungsschutz durch das Institut national de l’origine et de la qualité (INAO), einer einflussreichen staatlichen Einrichtung in Frankreich. Deren hartnäckige Lobby-Arbeit bewirkte, dass seit 1994 in der EU nur noch Schaumweine aus der Champagne auch Champagner genannt werden dürfen. Ich kann mich noch an Etiketten auf flaschenvergorenen Cremants erinnern, die aus anderen Regionen Frankreichs stammten und den Hinweis Méthode Champenoise trugen. Heute heißt es Méthode traditionelle oder Méthode classique.

Jetzt muss die erfolgsverwöhnte INAO allerdings mit ansehen, wie ihr namhaftester Schützling, der Champagner, eine Demütigung durch Russland erleidet. Schon im Sommer wurde von Präsident Wladimir Putin ein Gesetz unterzeichnet, das für in Russland verkauften französischen Champagner die Verpflichtung vorsieht, die Bezeichnung Schaumwein auf die Rückseite des Etiketts zu schreiben. Nach einer inzwischen abgelaufenen Übergangszeit wird die neue Regelung nun vollständig angewandt.

Warum ich das Ganze für Affentheater halte? Die Erzeugnisse aus der Champagne dürfen in Russland immer noch die Bezeichnung Champagner in lateinischer Schrift auf dem vorderseitigen Etikett tragen, nur eben nicht mehr in kyrillisch. So albern ich die nur als Provokation zu deutende Aktion Russlands finde, so peinlich auch die Reaktion der Grande Nation darauf. Putins Administration hat geschafft, was sie wollte: provozieren. Frankreich ist auf die plumpe Schikane hereingefallen und reagiert gekränkt und empört. Dadurch hat man die versuchte Demütigung überhaupt erst vollzogen.

Denn dass aus dieser Regelung dem Champagner tatsächlich ein Image-Schaden oder gar ein wirtschaftlicher Nachteil für die Produzenten entstanden ist bzw. entstehen könnte, darf man getrost für unwahrscheinlich halten. Im Gegenteil könnte die Angelegenheit auch ein Gutes für die Franzosen haben. Der lateinische Schriftzug als Ausweis französischer Authentizität. Wie auch immer: Wer sich in Russland französischen Champagner leisten kann und will, wird in der Lage sein, am Etikett zu erkennen, woher der Schaumwein wirklich kommt.

Meine Erfahrungen mit Krimskoje-Schaumwein halten sich übrigens in engen Grenzen und liegen schon eine Weile zurück. Während der Gorbatschow-Ära besuchte ich mal für ein paar Wochen die Küstenstadt Sotschi. Ich erinnere mich noch gut an ein Abendessen im weitläufigen Außengelände eines historischen Parkrestaurants. Jeder der gut und gerne zwölf Freisitz-Gruppen, die es dort gab, wurde von einem Baldachin überspannt.  Das Personal servierte Fleisch und Gemüse vom Grill, der direkt neben den Tischen stand. Und zur Begrüßung ein Glas Krimskoje. Allerdings nicht – wie ich erwartet hatte – geschmacklich halbtrocken, sondern nahezu brut. Guter Stoff, wobei der zum mindestens dreifachen Digistif gereichte Wodka qualitativ noch ein paar Ligen besser war. Unwohlsein an diesem Abend erregten nur (und ich muss das loswerden, obwohl es off topic ist): die Toiletten. Sie waren an der Außenseite des Hauptgebäudes zu finden. Die Kabinen waren mit Donnerbalken ausgestattet, und die Klapptüren aus Holz deckten nur den Bereich von den Unterschenkeln bis maximal Schulterhöhe der jeweiligen Besitzer und Besitzerinnen ab. Da die vielen stillen Örtchen u-förmig aufgereiht waren, konnte man an den Gesichtern der Toilettenbesucher ablesen, wie gut das Geschäft gerade lief. Also, theoretisch natürlich nur. Schickt sich ja nicht, da hinzugucken. Wird hier wahrscheinlich schon 1799 so ausgesehen haben.

1799 war übrigens auch das Jahr, in dem Napoleon Bonaparte die französische Revolution für beendet erklärte und Erster Konsul wurde. Derweil sich Frankreich und Russland (u.a. zusammen mit Österreich, Großbritannien, Schweden) in einigen Schlachten des 2. Koalitionskrieges feindlich gegenüberstanden. Animositäten zwischen beiden Ländern haben also eine gewisse Tradition. So lange es dabei nur um Champagner geht, kommt niemand ernsthaft zu Schaden.

Ich erhebe mein Glas Schaumwein auf meine Leserinnen und Leser, die dem kompottsurfer auch 2021 treu geblieben sind. Bleibt alle gesund und habt ein genussvolles neues Jahr. Prost!

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