Schöne Schweinerei an der Ruhr: Einfach mal die Sau rauslassen!

Wenn Sie aus dem Ruhrgebiet stammen und schon älter sind als drei mal Sieben, kennen Sie die Vorurteile, die Menschen aus anderen Regionen gegenüber unserer Heimat hegen und pflegen. Grau sei es hier und alles voller Beton und dreckiger Industrie. Ja, überhaupt sei es alles andere als schön, bestenfalls schön häßlich. Und Flora und Fauna seien allenfalls noch im Gartencenter zu bewundern. Längst habe ich mir abgewöhnt, darauf wortreich zu kontern und über die schöne Natur im Revier zu referieren. Das hab‘ ich von Frank Goosen gelernt: „Was wird am Ruhrgebiet am meisten überschätzt? Das viele Grün.“ Manchmal schleudere ich den Leuten aber auch ein „Woanders ist auch scheiße“ entgegen, je nach Laune.

Sprechen wir also vertrauensvoll unter uns wissenden Einheimischen. Natürlich gibt’s hier Flora und Fauna auch außerhalb von Gartencentern. Sogar auf einstigen Industriehalden wächst was. Mitunter sogar echt krasses Zeug, guckst du hier. Was die Fauna angeht, so sind die ruhrnahen Wiesen, Wälder und Anhöhen vielfältig belebte Gebiete. Was ich als Langläufer mit Vorliebe für die frühen Morgenstunden nicht schon alles zu Gesicht bekam: Störche, Fischreiher, Eisvögel, Bussarde, Spechte, Eulen und Rotmilane. Wildgänse, Schwäne, Enten, Eichhörnchen und Kaninchen sowieso. Dazu Fledermäuse, Steinmarder, Füchse, Feldhasen, Rehe, Hirsche. Nur Wildschweine sind mir hier noch nicht unterkommen. Aber – und jetzt kommt’s: Freilandschweine.

Womit wir beim Nutzvieh an der Ruhr angekommen wären. So begegnet man dann und wann Rindviechern auf dem Ruhrtal-Radweg, besonders auf dem Abschnitt zwischen der Hattinger Birschel Mühle und Isenberg (manchmal sogar auf zwei Beinen) und grasende Schafherden zählen längst auch zum gewohnten Bild. Vor nicht allzu langer Zeit berichtete ich über die Auerochsen, die in einem kleinen Naturschutzgebiet am Nordufer der Ruhr, im Grenzland zwischen Bochum und Hattingen, angesiedelt wurden. Und nun also die Ruhrtaler Freilandschweine. Es ist eine Kreuzung aus Deutscher Landrasse und Piétrain, wie Alexander Im Brahm verrät, ein junger Bauer aus Essen, der Interessenten gerne einlädt, sich mal bei ihm auf dem Hof umzusehen.

Die angesehen Bochumer Metzgerei Kruse hat das Ruhrtaler Freilandschwein von Alexander Im Brahm mittlerweile im Programm. Auch einige Rewe- und Edeka-Märkte aus dem Ruhrgebiet bieten Fleisch von seinen Schweinen an. Wer mal probieren will, findet hier sicher eine Verkaufsstelle unweit des eigenen Zuhauses.

Jäger der verlorenen Schätze: Wildgenuss vegetarisch

Ja, ich gebe zu, etwas kryptische Überschrift. Aber die Irritation ist gewollt, denn wenn kulinarisch interessierte Zeitgenossen über Wild reden, geht es in der Regel um Fleisch und nicht um Kräuter und Gemüse.

Vor wenigen Tagen streunte ich durchs Karwendel, und auf der wunderbaren Halleranger Alm präsentierte mir Hüttenwirtin Evi einen Schatz, den ich auf 1.800 Metern über dem Meeresspiegel nicht erwartet hätte. Wildspinat, auch Guter Heinrich genannt. Das Zeug wuchs über Jahrzehnte unbeachtet auf der bunten Wiese vor der Kapelle der Alm, bis eine Expertin für Wildkräuter und -gemüse das Geheimnis lüftete, welche kulinarische Köstlichkeit sich da unter Gräsern und Wiesenblumen verbarg. Dass es eine Köstlichkeit ist, davon überzeugte ich mich umgehend. Ich pflückte ein paar Blätter zum Verkosten ab und verstand sofort, warum auch das Fleisch der Gemsen, die dort oben grasen, so großartig schmeckt, wenn es mal als Gamsfaschiertes auf der Hütte serviert wird: Wenn alle Kräuter und Blattgemüse, die dort oben wachsen, so aromatisch sind wie der Wildspinat, dann muss sich das einfach im Fleisch der Tiere bemerkbar machen, die es abgrasen.

Nun gibt es auch in niederen Gefilden wie dem Ruhrgebiet genussvollen Wildwuchs. Nur wissen wir Stadtpflanzen meist nicht, was da an essbarem Zeug um uns herum so alles wächst. Der Regionalverband Ruhr (RVR) hilft nun Interessierten mit einer Exkursion auf die Sprünge. Im Rahmen des Projekts Natur erleben, lernen die Teilnehmer diverse heimische Wildkräuter  kennen und sicher zu verwenden. Treffpunkt ist Sonntag, der 18. August am Treppenaufgang der Schurenbachhalde an der Emscherstraße in Essen. Mit 5 Euro ist man dabei (Kinder zahlen 3 Euro). Weitere Infos zu dieser und anderen Veranstaltungen des Projekts Natur erleben gibt es hier.

Kürbiszeit, das gefühlte Mehr an Biodiversität, und was das mit Star Wars zu tun hat

Es war an dieser Stelle schon mehrfach von ihr die Rede, der Biodiversität. Darunter versteht die UN-Biodiversitätskommission (kein Witz, die gibt’s wirklich): die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören. Das klingt erst mal schlimm nach Verwaltungssprech, aber herunter gebrochen auf die Ernährungswirklichkeit der Menschen geht es, grobschlächtig formuliert, um Sorten- und Artenvielfalt.

Nun bin ich nicht unbedingt ein Anhänger der Strategie, jede Unterart von Krokodil, Affe oder Pandabär müsse auf Teufel komm‘ raus geschützt werden, denn im Rahmen der Evolution hat es erdgeschichtlich betrachtet  immer aussterbende Tier- und Pflanzenarten gegeben. Und niemand hat einen Gedanken daran verschwendet, ob das in der Zukunft zum Problem werden könnte. Weil noch niemand da war, der es hätte tun können. Nun ist die Situation aber längst eine andere, und der Mensch nimmt gewollt und ungewollt immer mehr und beschleunigten Einfluss auf evolutionäre Prozesse. Arten, die nicht schnell genug mitkommen verschwinden, oder man lässt sie verschwinden. Das ist heikel, und kann vor allem mit Blick auf die Nutzpflanzen nicht energisch genug ins Gespräch gebracht werden. Denn deren Retter-Lobby ist klein im Vergleich zu den Pandabärenschützern.

Nun beobachte ich in den letzten Jahren des Öfteren, dass – den kleinen Biobauernhöfen sei Dank – immer mehr alte und vergessenen Sorten in den Gemüseregalen landen. Vielfalt von hier, das wäre mein Motto, ließe man mich als König von Deutschland ein paar Ansagen machen. Aber darauf sollte niemand warten. Statt dessen würde es schon helfen, unterstützte der Verbraucher die Vielfaltbauern dadurch, eben diese Vielfalt auch einzukaufen. So wie aktuell in der Kürbiszeit mal was anderes als nur Hokaido oder Butternuss.

Neulich stand ich staunend vor einem großen Regal im Supermarkt mit jeder Menge unterschiedlicher Kürbissorten drin. Was mich besonders begeistert hat, war der Ufo-Kürbis. Der Kürbis erinnert mich an die Droiden-Kontrollschiffe der Handelsförderation aus der Lucrehulk-Klasse in Star Wars. Bei nächster Gelegenheit werde ich ihn mit meinem Lichtschwert zerteilen und daraus ein Kompott machen, das ich Hubba-Kürbis-Stampf nenne. Okay, okay, Hubbakürbis gilt in der Star-Wars-Welt als schwer verdaulich, aber es ist ja gar kein Hubbakürbis drin sondern nur Ufo. Wird schon schmecken. Mehr dazu demnächst vielleicht hier.

Ganz wild auf Gamsfleisch

Ich hatte tatsächlich geglaubt, so ziemlich alles an jagbarem Wild probiert zu haben, das in mitteleuropäischen Regionen daheim ist. Aber da hatte ich die Rechnung ohne den Hüttenwirt gemacht. Horst Schallhart, der gemeinsam mit seiner Frau Evi die Halleranger Alm im Karwendelgebirge betreibt, servierte mir neulich eine Portion Spaghetti mit Gamsfaschiertem als ich nach einer augedehnten Bergtour reichlich hungrig in seiner Gaststube zu Tisch saß. Der Wirt ist ein authentischer Typ mit Humor und klarer Kante, was seine Ansichten angeht. Die Berge sind von jeher sein Zuhause, die Landschaft und Tierwelt dort oben zu schützen ist ihm ein Anliegen. Ich sehe ihn als Bruder im Geiste, wenn es darum geht, die Bergwelt nicht weiter zu einem Freizeitpark auszubauen, wo jeder dritte Hang mit einer Seilbahn versehen ist, Sendemasten das Internet in die hintersten Winkel bringen und der Trend zum E-Mountainbiken behäbiges Touristenvolk nach oben spült, das auf jeder Hütte Ladestationen für ihre gefräßigen Akkus erwartet. Ahnungslose, die nicht wissen, wie mühsam jede Kilowattstunde Strom erwirtschaftet werden muss. Auf der Halleranger Alm zum Beispiel mit der Wasserkraft der jungen Isar, die auf dem Grundstück entspringt. Und mit einer Solaranlage auf dem Dach eines Anbaus.

Schallhart ist aber nicht nur Hüttenwirt. Auf seiner Alm grasen auch jeden Sommer ein paar hundert Rindviecher, denen er den Aufenthalt auf seinen Almwiesen so angenehm macht wie den Gästen seiner Hütte die Einkehr in seine Gaststube. Keine dieser aufgemotzten Milchmonster, sondern Tiroler Grauvieh, gutmütige, widerstandsfähige Tiere mit enormen Kletterfähigkeiten. Ich habe sie beim Almabtrieb beobachten können, der für die Tiere zunächst durch ein Schotterkar von 1.800 m auf 2.200 m Höhe extrem steil bergan ging, um dann über das Lafatscher Joch ins Halltal zu gelangen, wo sie den langen Winter verbringen. Niemals hätte ich für möglich gehalten, dass die Rindviecher da hoch kommen. Aber sie schafften es problemlos.

Ganz anders meine Erlebnisse mit den sehr geländegängigen Gämsen. Erst tags zuvor hatten zwei Tiere meinen Trainingslauf hinauf zum Sunntiger-Gipfel unterbrochen, weil sie sich in kaum zwanzig Metern Entfernung auf das einzige Stück felsigen und verschneiten Pfad stellten, das begehbar war. Vermutlich dachten sie: Was macht der Typ hier in unserem Revier? Ich musste unwillkürlich an die Graubündner Steinböcke Gian und Gachen denken. Und ihr legendäres Gespräch über Kletterer: „Weißt du was ich bei diesen Bergsteigern nicht verstehe? Die sind sooo langsam. Aber ausgerüstet wie für eine Mondlandung … “ (hier der TV-Spot). Schon im nächsten Moment sah ich die beiden Gämsen leichthufig den Abhang queren, und weg waren sie.

Wer diese Tiere bejagen will, muss nicht nur Geduld haben, sondern auch klettern und in der Lage sein, die gut und gerne 40 Kilogramm schweren Gämsen zu Schultern und ins Tal zu bringen. Horst Schallhart kann das. Aus etwa 200 Metern Entfernung nimmt er das Wild ins Visier. In der Höhenluft ist es allerdings noch schwieriger einen Treffer zu landen als im Flachland, weil zumeist steil nach oben oder unten geschossen werden und die Gravitationskraft einberechnet werden muss. Da er das Metzgerhandwerk gelernt hat, weiß er auch sehr genau, auf welche Weise Wild geschossen werden sollte, nämlich hinter das Schulterblatt in die Lunge, weil sonst die Vorderkeulen unbrauchbar werden.

Der Geschmack von Alpengamsfleisch ist das aromatischste Wildbret, das ich bisher gegessen habe. Kein Wunder, die Tiere futtern ihr Leben lang nur vom Feinsten. Triebe von Erlen, Weiden und Kiefern. Alpenrose, Bergkräuter, Gräser und Moos. Zum Abschied drückte mir Horst ein kiloschweres Päckchen in die Hand. Drinnen Knochen und Fleisch aus der Gamsschulter. Daraus fabrizierte ich daheim sogleich ein Gulasch. Dazu gab’s Kartoffelstampf, Rote Schmorzwiebeln und einen Cabernet Sauvignon. Wie sagen die Leute in den deutschsprachigen Alpenregionen immer? Passt!

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