Für 2021 vormerken: Von Profis bekocht werden ist das beste Geschenk!

Ich muss ungefähr Anfang Zwanzig gewesen sein, als Weihnachten für mich das letzte Mal eine neue Bedeutung bekam. War es in Kindertagen ein religiöses Fest mit Krippenspiel und ehrfurchtsvollem Absingen von Weihnachtsliedern, nahm ich als Jugendlicher nur noch die Bescherung wahr. Man wünschte sich was, und einige Male bekam man sogar das, was man wollte. Das galt auch für das Essen. Gab es Heiligabend zu Mittag die obligatorischen Bockwürstchen mit Kartoffelsalat, durften mein Bruder und ich zumeist das Abendessen auswählen, bei uns traditionell vor der Bescherung serviert, weil nach Geschenkewahn samt Süßigkeitenteller an genussvolles Essen nicht mehr zu denken gewesen wäre.

Aber bald verlor auch der materielle Aspekt und der Überraschungsfaktor beim Geschenke öffnen an Bedeutung. Was man unbedingt haben wollte, kaufte man sich selbst oder sparte darauf. Viel mehr erfreute mich nun – wo ich mir Tag für Tag meine Mahlzeiten selbst zubereiten musste – das gemeinsame Essen mit der Familie und vor allem das bekocht werden. Meine Mutter kochte gut und mit Freude, und sie genoss den Moment, wenn wir die Teller blitzeblank gefuttert hatten. So vollzog sich also der zweite Paradigmenwechsel.

2007 gab es das letzte von meiner Mutter zubereitete Weihnachtsessen. Fortan war es an mir, das gemeinsame Mahl für die Familie zu kochen. Nun machte aber die zweite Corona-Welle alle Weihnachtsplanungen für dieses Jahr zunichte. Es galt (und gilt weiterhin) Kontakte zu beschränken. Ich überlegte einige Tage lang, wie aus dem Fest doch noch etwas Besonderes werden könnte, als ich mich an die Aktivitäten des Restaurants Hannappel erinnerte, über die ich erst neulich schrieb. Das Team um Knut Hannappel und Tobias Weyers hatte in Zeiten des Shutdowns sein Außer-Haus-Angebot ausgebaut und warb für ein Weihnachts- und ein Silvestermenü, wie ich auf der Webseite lesen konnte. Das Menü brauche Heiligabend nur am Restaurant abgeholt werden, und mit wenigen einfachen Handgriffen sei alles bereit zum Auftischen, hieß es in dem Angebot. Bingo! Fünf Minuten Autofahrt zum Restaurant, fünf Minuten, um im Keller die passenden Weine auszusuchen und 15 Minuten fürs Essen warm machen und anrichten. Weihnachten kann ja so entspannt sein.

Und so genossen wir in vollen Zügen dieses Menü: Windbeutel mit Blutwurst // Terrine von der Gänseleber mit Rauchaal // Gebeizter Glen-Douglas-Lachs mit Kumquats, Gurke und Alge // Bäckchen vom Tiroler Milchkalb mit Trüffel, Rotkraut und Sellerie-Creme // Dessert und Patisserie.

Wie oft hab‘ ich mir in der Vergangenheit schon gewünscht, zu Weihnachten daheim ein Sternemenü zu essen. Meine eigene Kochkünste geben das nicht mal ansatzweise her – und einfach nur bestellen und zuhause fix servieren, auf diese Idee musste mich erst der Shutdown in der Corona-Krise bringen. Für 2021 hab‘ ich vorgemerkt: Am Heiligabend unbedingt wieder Menü bestellen, wenn die Umstände es erlauben. Vielleicht wird die Gastronomie ihren aus der Not geborenen Weihnachts-Menü-Service auch 2021 wieder anbieten, ganz ohne Shutdown und Corona-Krise. Man darf gespannt sein.

Gastronomie 2020: Hoch leben die Tapferen!

Wäre alles wie immer, kämen die Gastronomen in diesen Wochen aus dem Arbeiten nicht mehr heraus. Die Restaurants wären restlos ausgebucht für Weihnachtsfeiern von Firmen, Vereinen und Freundeskreisen. Und man schaffte sich finanzielle Polster für die eine oder andere Flaute im nächsten Jahr. Aber 2020 ist nichts wie immer. Erst recht nicht für die Gastronomie.

„Tapferkeit verringert die Schicksalsschläge“ wusste schon der griechischische Philosoph Demokrit, und seine Erkenntnis hat auch 2.400 Jahre später nichts an Aussagekraft verloren. Wenn ich mir ansehe, wie viele Gastronomen tapfer durch die Corona-Krise gehen, sich nicht in Vorwürfen an Politiker, Behörden, Virologen verlieren, sondern erkennen, dass es in dieser schweren Zeit vor allem Verantwortungsbewusstein, Eigeninitiative, Kreativität und Hilfsbereitschaft braucht, dann zeugt das von der großen Kraft, die in Deutschlands anspruchsvoller Gastronomie steckt, angefangen beim Szene-Cafe bis hin zum Sterne-Restaurant.

Natürlich sind für Gastronomen samt Mitarbeiter diese Phasen der Schließungen eine hohe psychische Belastung, weil es um nicht weniger als ihre wirtschaftliche Existenz geht. Umso beeindruckter bin ich, wie viel sie trotzdem noch bewegt. Stellvertretend für die Tapferen möchte ich Sascha Stemberg (Haus Stemberg) nennen, der von Anbeginn der Corona-Krise erkannt hat, dass er als Unternehmer gefordert ist und nicht als Versicherungsnehmer staatlicher Hilfsprogramme. Der viele seiner Kolleginnen und Kollegen Mut gemacht hat initiativ zu werden, statt die Flügel hängen zu lassen. Natürlich braucht es finanzielle Hilfen für die Gastronomie, gar keine Frage, aber letzten Ende braucht es mehr als das zum Überleben. Nämlich Eigeninitiative der Betroffenen. Es gilt, Lösungen zu finden und die Stammkundschaft bei der Stange zu halten, vielleicht sogar neue Gästepotentiale zu erschließen. Denn Corona ist irgendwann überstanden, und dann werden es vor allem die Tapferen sein, die ohne den Schicksalsschlag einer dauerhaften Schließung weitermachen können.

Wer sich in der Gastronomie seiner Umgebung umschaut, wird die Tapferen erkennen. Völlig wahllos herausgegriffen sehe ich viele Macher und Teams, die ihren Gästen auch im Lockdown light etwas bieten. Haus Stemberg mit seiner aktuellen Xmas-Genussbox,  Eric Werner aus dem Kölner astrein mit Adventsmenü to-go sowie einem Eis-Fenster, der Essener Tatort mit köstlichen Burgern, die Stadtnachbarn vom Restaurant Hannappel mit Nikolausmenü zum Mitnehmen, die Bochumer Gastronomiefamilie aus Livingroom, Five, Franz Ferdinand und Grüner Gaul mit ihren Family Boxen  – die Liste ließe sich endlos fortführen. Schauen Sie sich in Ihrer Umgebung um, und sie werden sie finden, die Tapferen! Holen Sie sich ihr Essen nach Hause, und erzählen Sie es im Freundeskreis weiter! Es ist ein Stück lecker gelebte Solidarität für die ich mich hier gerne einsetze.

Endlich geschafft: Michelin-Stern für Restaurant Hannappel in Essen

Gerade wurde es von den Inspektoren des Michelin offiziell verkündet: Das Restaurant Hannappel in Essen-Horst erhält erstmals in seiner langen Geschichte einen Stern im Guide Michelin. Der Stern war die wahrscheinlich überfälligste Belobigung in der Geschichte des Michelin Deutschland. Glückwunsch!

Nachdem die übliche Zeremonie der Bekanntgabe wegen COVID-19 abgesagt wurde, konnten Interessierte nur per livestream verfolgen, wer in diesem Jahr besonderen Grund zur Freude hat. Sei es, weil Sterne verteidigt oder erstmals errungen wurden, wie vom bereits erwähnten Team des Restaurants Hannappel. Im Ruhrgebiet war durch den Abgang von Sven Nöthel aus dem Mülheimer Restaurant Am Kamin ein Michelinstern verloren gegangen, der aber durch den Aufstieg von Hannappel ausgeglichen wird. Inklusive des von mir ins Ruhrgebiet eingemeindete Velbert, kommt die Region auf ein Restaurant mit 2 Sternen (Rosin, Dorsten) sowie 8 mit einem Stern (Dorsten: Goldener Anker // Dortmund: Palmgarden // Essen: Hannappel, Laurushaus, Schote // Haltern am See: Ratsstuben // Velbert: Stemberg // Xanten: Landhaus Köpp).

Übliche Ausrufezeichen gibt’s natürlich auch wieder, in positiver wie negativer Hinsicht. Das Rutz in Berlin steigt erstmals in den Olymp der Dreisterne-Häuser auf und zählt jetzt zu den absolut besten Adressen der Republik. Die Baiersbronner Schwarzwaldstube (im Hotel Traube-Tonbach) musste nach einem schweren Brand im Januar vorerst schließen, weshalb die drei Sterne verloren gingen und die Anzahl der Restaurants mit Höchstbewertung bundesweit weiterhin bei zehn bleibt. Seit ein paar Wochen kocht das Team zwar übergangsweise im Restaurant Silberberg, aber für eine Bewertung reichte es zeitlich nicht mehr. Schon 2021 soll jedoch das neue Haupthaus mit Restaurants fertig sein. Und dann gibt’s auch wieder Sterne, davon darf man ausgehen.

Erstmals nach 37 Jahren in Folge muss Alfons Schuhbeck ohne die begehrte Auszeichnung auskommen. Sein Münchener Restaurant Alfons ist seit Jahresbeginn geschlossen, der Altmeister wird aber wohl schon bald wieder mit neuem Konzept um die jährlich neu verliehenen Sterne kämpfen.

Mindestens genauso interessant wie die Verleihung der Sterne sind für mich die Belobigungen des Guides für Lokale unterhalb der Sternekategorie, die mit einem so genannten BIB-Gourmand für besonderes Preis-Leistungs-Verhältnis herausgestellt werden. Im Ruhrgebiet gibt’s den für folgende Restaurants: Lennhof (Dortmund )// Eggers und Habbel’s (beide Sprockhövel) // Gasthaus Stromberg (Waltrop) // ART (Wesel).

Diergardts Kühler Grund: Moderne Garniturenküche, erlesene Weine – welch‘ ein Vergnügen!

Wenn der Guide Michelin am 3. März 2020 die neu und wieder besternten Häuser der Republik verkündet, wird das Hattinger Restaurant Diergardts Kühler Grund wahrscheinlich nicht dabei sein. Noch nicht. Denn wer sich bei Philipp Diergardt zu Tisch setzt, wird schnell feststellen, dass hier mit Herz, Verstand und Ambition gekocht wird. Mögen die Inspektoren des Guide vielleicht befremdlich finden, dass der 115 Jahre alte Familienbetrieb mit seinem Angebot auch den Gästen entgegen kommt, die mit der Haute Cuisine fremdeln – die Leistungen der Küche schmälert das nicht. So gibt es hier jeden Sonntagabend Schnitzelprogramm, und auch gastronomische Traditionen wie Spargelwochen und Gänse-Essen werden gepflegt. Ein Haus dieser üppigen Größenordnung auch betriebswirtschaftlich verantwortungsvoll zu bespielen, ist eben eine besondere Herausforderung.

Wie auch immer – anspruchsvolle Esser werden ihre Freude haben, wenn sie Philipp Diergardts regional grundierte Küche genießen dürfen. Das Spannungsfeld seiner Gerichte liegt zwischen Gebratenem Schollenfilet Finkenwerder Art und Kalbskotelett mit Steinpilzrahm auf der einen sowie Burrata mit Tomatentee und eingelegtem Radicchio-Treviso-Salat auf der anderen Seite. Wobei es vor allem Diergardts Interpretationen der Klassischen Garniturenküche sind, die Gäste wie mich in Versuchung bringen, die Speisekarte rauf und runter zu futtern. Wo gibt es das heute noch auf diesem Niveau? Wehmütig erinnere ich mich an die Zeit zurück, als Berthold Bühler und Henri Bach in der Kettwiger Résidence diese Art Küche wieder aufleben ließen und an einigen Tagen in der Woche einen Teil ihrer Zwei-Sterne-Gastronomie zum Restaurant Püree umfunktioniert hatten. Nun also bei Diergardts. Mit besagter Scholle Finkenwerder Art, mit Kalbsleber Berliner Art und Königsberger Klopse.

Diergardt junior gestand mir in einem Interview mal freimütig ein, dass er nach Abitur und Zivildienst mit Gastronomie nicht viel zu tun haben wollte. „Ich habe gesehen, wie wenig Freizeit meine Eltern durch die Arbeit hatten, und als Jugendlicher konnte ich mir so ein Leben für mich nicht vorstellen.“ Da er zunächst nicht so recht wusste, ob, und wenn ja, was er studieren sollte, überbrückte er die Bedenkzeit mit einem Praktikum im Weingut Meyer-Näkel. Werner Näkel hatte er bei einer Veranstaltung im elterlichen Betrieb kennengelernt und sich nach diesem Abend zu einem Praktikum beim ihm entschieden. Er blieb ein halbes Jahr und lernte in dieser Zeit Hans Stefan Steinheuer kennen, vom Restaurant Alte Post, das nur wenige Kilometer vom Weingut entfernt lag: „Plötzlich fand ich den Gedanken ganz spannend, in einem Zwei-Sterne-Haus Kochen zu lernen. Aber ich war auch angefixt von den Genüssen, an denen ich an der Ahr in dieser Zeit teilhaben konnte. Die großen Gewächse probieren, sogar mal einen Romanée Conti. Dazu das Handwerkliche im Weingut, das Einmaischen, das Abfüllen – es hat mich einfach gepackt.“ Irgendwann fragte er nach einem Praktikum bei Steinheuer, und nach ein paar mal Probearbeiten klappte es sogar mit einem Ausbildungsplatz. Was ihm bei Steinheuer gefallen hat: „Es hat da nie nur die Haute Cuisine gegeben, sondern neben der Zweisterneküche liefen auch immer wieder die Schweinefiletspitzen für die Skatrunde oder Käse-Champignon-Toasts für die Kegelbahn.“ Kein Wunder also, dass er es selbst mit seiner kulinarischen Ausrichtung im eigenen Haus ähnlich hält.

Philipp Diergardt hatte keinen Masterplan im Kopf, wie er sagt. Seine Entscheidungen „hatten auch immer was Spontanes.“ Nach der Kochausbildung fragte ihn Werner Näkel, ob er nicht noch bei ihm eine Winzerausbildung machen wolle. „Ich muss sagen, mich hat der Gedanke schon amüsiert und fasziniert, der erste Winzer von Hattingen zu werden. Außerdem fand’ ich’s einfach cool, Winzer zu sein, gerade in einer Zeit, wo Weine aus Deutschland ihre große Renaissance erlebten.“ Und so folgte die Winzerausbildung auf die Kochlehre und schließlich noch die Sommelierschule in Koblenz sowie eine Station bei Nils Henkel in Bergisch-Gladbach. Und dann führte ihn, der an der Ahr schon heimisch geworden war, der Weg doch eines Tages wieder zurück zu seinen Wurzeln und in den elterlichen Betrieb, wo er auch von den Erfahrungen des Vaters profitieren konnte und immer noch kann, der das Haus über Jahrzehnte erfolgreich geführt hat und für dessen Unterstützung er dankbar ist. Ähnlich wie im Velberter Haus Stemberg (die Familien kennen und schätzen sich übrigens), verlässt die alte Garde nicht fluchtartig den Schauplatz, sondern sorgt mit ihrer Präsenz für die besondere Atmosphäre, die gut geführte Familienbetriebe ausmacht.

Der Wein – was Wunder – spielt in Diergardts Restaurant auch eine wichtige Rolle. Für Veranstaltungen hat man inzwischen einen wunderschönen Weinkeller eingerichtet und die Weinkarte ist wirklich herausragend bestückt, auch mit reiferen Kreszenzen, was auch Diergardt Senior zu verdanken ist, der schon vor Jahrzehnten in sehr gute und lagerfähige Weine investiert hat. Und barmherzig kalkuliert ist das Ganze auch noch. Wo in der Gastronomie bekommt man eine Flasche 1990er Chateau Gruaud-Larose für 170 Euro? Ein Wein, den Robert M. Parker mit 93 Punkten geadelt hat (obwohl ich mich persönlich nicht an Parker-Punkten orientiere, aber sie sind zweifelsfrei preistreibend). Noch spannender als Bordeaux finde ich allerdings die Auswahl an Wein aus Deutschland auf der Karte. Da bleiben wirklich kaum Wünsche offen.

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