Ich muss ungefähr Anfang Zwanzig gewesen sein, als Weihnachten für mich das letzte Mal eine neue Bedeutung bekam. War es in Kindertagen ein religiöses Fest mit Krippenspiel und ehrfurchtsvollem Absingen von Weihnachtsliedern, nahm ich als Jugendlicher nur noch die Bescherung wahr. Man wünschte sich was, und einige Male bekam man sogar das, was man wollte. Das galt auch für das Essen. Gab es Heiligabend zu Mittag die obligatorischen Bockwürstchen mit Kartoffelsalat, durften mein Bruder und ich zumeist das Abendessen auswählen, bei uns traditionell vor der Bescherung serviert, weil nach Geschenkewahn samt Süßigkeitenteller an genussvolles Essen nicht mehr zu denken gewesen wäre.
Aber bald verlor auch der materielle Aspekt und der Überraschungsfaktor beim Geschenke öffnen an Bedeutung. Was man unbedingt haben wollte, kaufte man sich selbst oder sparte darauf. Viel mehr erfreute mich nun – wo ich mir Tag für Tag meine Mahlzeiten selbst zubereiten musste – das gemeinsame Essen mit der Familie und vor allem das bekocht werden. Meine Mutter kochte gut und mit Freude, und sie genoss den Moment, wenn wir die Teller blitzeblank gefuttert hatten. So vollzog sich also der zweite Paradigmenwechsel.
2007 gab es das letzte von meiner Mutter zubereitete Weihnachtsessen. Fortan war es an mir, das gemeinsame Mahl für die Familie zu kochen. Nun machte aber die zweite Corona-Welle alle Weihnachtsplanungen für dieses Jahr zunichte. Es galt (und gilt weiterhin) Kontakte zu beschränken. Ich überlegte einige Tage lang, wie aus dem Fest doch noch etwas Besonderes werden könnte, als ich mich an die Aktivitäten des Restaurants Hannappel erinnerte, über die ich erst neulich schrieb. Das Team um Knut Hannappel und Tobias Weyers hatte in Zeiten des Shutdowns sein Außer-Haus-Angebot ausgebaut und warb für ein Weihnachts- und ein Silvestermenü, wie ich auf der Webseite lesen konnte. Das Menü brauche Heiligabend nur am Restaurant abgeholt werden, und mit wenigen einfachen Handgriffen sei alles bereit zum Auftischen, hieß es in dem Angebot. Bingo! Fünf Minuten Autofahrt zum Restaurant, fünf Minuten, um im Keller die passenden Weine auszusuchen und 15 Minuten fürs Essen warm machen und anrichten. Weihnachten kann ja so entspannt sein.
Und so genossen wir in vollen Zügen dieses Menü: Windbeutel mit Blutwurst // Terrine von der Gänseleber mit Rauchaal // Gebeizter Glen-Douglas-Lachs mit Kumquats, Gurke und Alge // Bäckchen vom Tiroler Milchkalb mit Trüffel, Rotkraut und Sellerie-Creme // Dessert und Patisserie.
Wie oft hab‘ ich mir in der Vergangenheit schon gewünscht, zu Weihnachten daheim ein Sternemenü zu essen. Meine eigene Kochkünste geben das nicht mal ansatzweise her – und einfach nur bestellen und zuhause fix servieren, auf diese Idee musste mich erst der Shutdown in der Corona-Krise bringen. Für 2021 hab‘ ich vorgemerkt: Am Heiligabend unbedingt wieder Menü bestellen, wenn die Umstände es erlauben. Vielleicht wird die Gastronomie ihren aus der Not geborenen Weihnachts-Menü-Service auch 2021 wieder anbieten, ganz ohne Shutdown und Corona-Krise. Man darf gespannt sein.