Interview mit Chefredakteurin Patricia Bröhm über den Gault&Millau 2018: „in jungen deutschen Restaurantküchen wird immer weniger gekocht.“

Gerade ist der Restaurantführer Gaul&Millau in seiner 2018er Edition erschienen, erstmals nicht mehr im Christian Verlag sondern beim ZS Verlag München. Für den kompottsurfer ein willkommener Anlass, Chefredakteurin Patricia Bröhm Fragen zur aktuellen Entwicklung in der heimischen Gastronomieszene und der Ausrichtung des Gault&Millau zu stellen.

Liebe Frau Bröhm, welche Herausforderungen galt es zu meistern, den Gault&Millau Deutschland nach einer gefühlten Ewigkeit beim Christian Verlag nun innerhalb kurzer Zeit unter neuem Dach erscheinen zu lassen?

Für die Testequipe und die Redaktion konnte die Arbeit diesmal leider erst im Mai beginnen. Aber wir mussten ja unsere Freude am Genuss und am Guide nicht neu erfinden, sondern setzten uns wie immer mit großer Begeisterung und vorurteilsfrei zu Tisch. Die größere logistische Herausforderung hatte der neue Verlag als vierter in unserer 35-jährigen Geschichte zu meistern.

Die 2018er Ausgabe Ihres Restaurantführers ist gestern in München vorgestellt worden. Was hat Sie im abgelaufenen Jahr kulinarisch am meisten überrascht, positiv wie negativ?

Dass die deutsche Küche heute so facettenreich und kreativ wie nie zuvor ist und keinen internationalen Vergleich scheuen muss. Dass vor allem in jungen deutschen Restaurantküchen immer weniger gekocht und immer mehr mit Technologie hantiert wird, ohne dadurch Geschmack und Genuss zu bereichern.

In der absoluten Spitze haben Deutschlands beste Köche Weltniveau erreicht. Der Gault&Millau hat aber immer auch Restaurants aus dem gesamten Unterbau im Blick, der im Grunde viel mehr über die Durchdringung eines Landes mit guter Küche aussagt als das Geschehen an der Spitze. Wie sehen Sie die Entwicklung bei den Häusern mit 13 oder 14 Punkten – Stagnation, Rückschritt oder Fortschritt?

Chefredakteurin Gault&Millau Deutschland Patricia Böhm (Bild: P. Böhm)

Es freut mich, dass es immer mehr Restaurants auf diesem Niveau gibt. Ich würde mich noch mehr freuen, wenn deren Küchen nicht so oft dem Mainstream folgen, sondern eher einen hauseigenen Stil entwickeln würden.

Ich kann mich noch gut an eine heiße Diskussion vor etwa zehn Jahren mit Ihrem Vorgänger, Herrn Kohnke, erinnern. Er widersprach vehement meiner Ansicht, dass es schon in absehbarer Zukunft Spitzenküche ohne wissenschaftlich basiertes Kochen nicht mehr gäbe. Er reduzierte das, was damals unter – etwas unzutreffend – Molekularküche firmierte, zu einer stilistischen Angelegenheit, die für ihn so etwas wie Verrat an der Kochkunst darstellte. Heute gibt es in der kulinarischen Champions League kein Restaurant mehr, dessen Küche die neue Technologie nicht nutzt. Wie steht der Gault Millau heute dazu?

Ich weiß nicht, was Manfred Kohnke in seinen Gault&Millau-Jahrzehnten bei Diskussionen gesagt hat. Im Guide selbst äußerte er sich zu dem Thema nur 2010 im Vorwort u.a. so: „Die molekulare Küche ist bislang keine geschmackliche Bereicherung, was ihre intelligenten Befürworter zugeben … Gleichwohl versuchen moderne Markentender die von den Molekularköchen genutzte Chemie für salonfähig zu erklären und zu geschmacklosen Geschäften zu nutzen. Beispielsweise auch jene schwarzen Kügelchen, die hierzulande Heringskaviar oder – was ja noch lautmalerischer klingt – Avruga oder Harenga genannt werden und bei französischen Behörden, die sich mit dessen Einfuhr und Erlaubnis beschäftigten, Heringsmüll heißen.“
Zum heutigen Stand: der Gault&Millau bewertet nach wie vor nicht die von Köchen im Rahmen ihrer kochkünstlerischen Freiheit benutzte Technologie, sondern nur das geschmackliche Ergebnis, das den Gästen serviert wird.

Als ich in jungen Jahren, Ende der 1980er, begann, gute Restaurants in Deutschland und Frankreich zu besuchen, war mir der Gault&Millau ein treuer Begleiter und Hinweisgeber. Ich mochte die etwas rotzige Art der Kritik, und mir gefiel auch, dass nicht einfach nur Noten verteilt, sondern Urteile auch begründet wurden. Natürlich machte man sich damit angreifbar, aber für den Leser war es hilfreich. Was mich allerdings damals wie heute irritiert hat: die regionale Ungleichheit der Benotung, gerade im unteren Bereich. Restaurants mit 13, 14 oder 15 Punkten, zum Beispiel in Bayern, waren oft nicht auf dem Niveau unterwegs wie gleich bepunktete Lokale in NRW oder Niedersachsen. Was tun Sie, um diese Diskrepanzen zu minimieren?

Ich tue das, was schon die Gründerväter Henri Gault und Christian Millau taten. Tester haben zwar als erfahrene Essensgeher eingeschliffene Reflexe, die bei Tisch unabhängig von ihren privaten Freuden oder Sorgen, von Tagesform oder Umgebungseinflüssen funktionieren, aber sie sind auch immer Menschen, mal mit großzügiger, mal mit strengerer Wesensart. Die Diskrepanz zwischen weitherzigem Aufrunden und skeptischem Abrunden bei den Noten muss man anhand der gelieferten Begründungen oder bei Gesprächen im Testerkreis ausgleichen.

Die Produktion von Restaurantführern ist eine immens teure Angelegenheit. Viele Häuser wird man aus Kostengründen nur einmal pro Jahr besuchen können. Haben Sie keine Sorgen, dass ein schiefes Bild entsteht, wenn Lokale, die zuletzt im Januar 2017 besucht wurden, im 2018er Guide als verlässliche Orientierung dienen sollen? Nicht alle Restaurants bieten die Konstanz katholischer Osterliturgie, sondern offenbaren Leistungsspektren wie ein Überraschungsei.

Da unsere Tester in ihrem Testgebiet leben und arbeiten, gewinnen sie ihre Urteile über ein Restaurant nicht aus einmaligem Besuch, sondern aus ihren Erfahrungen bis zum Redaktionsschluss im Oktober. Tagesaktualität können Guides allerdings genauso wenig bieten wie Foodblogger oder Bewertungsportale.

Sind papierne Gastronomieführer in Zeiten von Internet und Smartphone überhaupt noch zeitgemäß, oder sollte man die Kosten dafür nicht einsparen und einem top aktuellen Onlinedienst zuschlagen?

Ich vermute mal, dass es den Gault&Millau und den Michelin solange gibt, wie sich die Gäste bei Tim Raue, in der Schwarzwaldstube oder im Tantris nicht sagen lassen möchten: Eine Speisekarte haben wir nicht mehr, Sie können ja auf Ihrem Handy schauen, was es heute bei uns zu essen gibt…

Frau Bröhm, herzlichen Dank für Ihre Einschätzung.

Gault Millau 2017 macht neue Deutsche Küche mit kompromisslosem Bekenntnis zur Region aus

Es ist wieder dieser Montag, mitten im November, an dem der Gastronomieführer Gault Millau traditionell seinen Guide Deutschland fürs kommende Jahr präsentiert. Die wichtigste Frage zuerst: Wer wurde zu Deutschlands Koch des Jahres gekürt? Diesen begehrten Titel heimste Andreas Krolik aus dem Frankfurter Restaurant Lafleur im Gesellschaftshaus Palmengarten ein. Ihn machten die Tester unter anderem als einen der „besten Gemüseköche Deutschlands“ aus, was in diesen Zeiten den Einfall von Heerscharen Veganer nach Frankfurt befürchten lässt, die es auf die Beilagen abgesehen haben und den Karnivoren die Plätze streitig machen. Denn Krolik kann auch Fleisch, findet der Gault Millau. Bei ihm probierten sie jedenfalls eines der komplexesten Gerichte der letzten Testsaison: Brust, Keule und Confit vom Schwarzfederhuhn mit pochiertem Ei auf weißem Bohnenpüree, Bohnenkrautsalat und Geflügel-Dashi-Sud. Erst 2015 war Krolik ins Lafleur gewechselt, zuvor hatte er sich bereits im Frankfurter Tiger-Restaurant einen Namen gemacht und dort zwei Michelinsterne erkocht. Davor holte er sich an vielen Stationen in Deutschland und der Schweiz das Rüstzeug für seinen Weg nach oben.
Trotz des Titels ist Krolik noch nicht in der absoluten Spitze angekommen, wo mit 19,5 von 20 Punkten weiterhin Harald Wohlfahrt aus der Schwarzwaldstube in Baiersbronn, Joachim Wissler aus dem Vendôme in Bergisch Gladbach, Christian Jürgens, Überfahrt in Rottach-Egern, Klaus Erfort, aus dem GästeHaus in Saarbrücken und Helmut Thieltges, Waldhotel Sonnora in Dreis thronen. Bis dahin sind es für Krolik noch 1,5 Punkte, die nach wenig aussehen, aber in der Welt des Gault Millau ein sattes Stück kulinarischer Klasse ausmachen. Vor allem in der Spitze.
Auf dem Weg dahin ist auch Sascha Stemberg (Haus Stemberg / Velbert) für den es mich besonders freut, dass er nun erstmals mit 17 Punkten bewertet wird. Als ich vor zehn Jahren einen Beitrag für das Gault Magazin schrieb, war er gerade im elterlichen Gasthaus mit eigenem Programm gestartet. Und schon da war erkennbar, dass er ein Großer werden kann, wenn er geduldig bleibt und seine Begeisterung für erstklassige Produkte – nicht zuletzt auch aus der Region – in aufregende Küche münden lässt. Nur noch zwei Restaurants in NRW werden vom Gault Millau besser beurteilt als Sascha Stemberg. Joachim Wissler (Vendôme / Bergisch-Gladbach) und Eric Menchon (Le Moissonier / Köln). Aus dem Kreis der deutschlandweit beliebten Fernsehköche sieht der Gault Millau derzeit weder Frank Rosin (Rosin / Dorsten), noch Björn Freitag (Goldener Anker / Dorsten) und Nelson Müller (Schote  Essen) auf gleicher Höhe mit Stemberg, dem man da fast schon wünschen möchte, er möge zukünftig immer genügend Abstand zur Fernsehlandschaft halten.
Wenn in den nächsten Tagen der Guide Michelin seine Sterne für 2017 vergibt, könnte die Sache schon wieder anders aussehen. Aber sicher nicht viel anders.

Gault Millau kürt Peter Maria Schnurr vom Leipziger Restaurant Falco zu Deutschlands Koch des Jahres

Der Gastronomieführer Gault Millau Deutschland hat heute die Ergebnisse seiner Arbeit vorgestellt, die ja zuvorderst darin besteht, Restaurants zu besuchen und deren Küchenleistung zu bewerten. Mit einiger Aufmerksamkeit wird von Jahr zu Jahr die Inthronisierung von Deutschlands Koch des Jahres durch den Gault Millau verfolgt. Denn das ist in der Regel keiner aus der Riege, die schon über Jahre die kleine Spitze von Deutschlands besten Köchen bildet. Sondern einer, der da noch hin will und das Potential dazu hat. So wie Peter Maria Schnurr aus dem Leipziger Restaurant Falco, den die Gault-Millau-Equipe in diesem Jahr auf den Schild hob und der seiner Küche einen markenrechtlich geschützt aussehenden Anstrich verpasst hat. cuisine passion légère © Eine kulinarische Philosophie lautet sein Credo, und mag sein, dass –neben der außergewöhnlichen Küchenleistung – auch der sprachliche Ausdruck besonderen Anklang bei den frankophilen Millauisten fand. Schnurr, so schrieb der Gault Millau in der Vergangenheit einmal, sei ein „Besessener, dem es primär nicht darum geht, seine Gäste glücklich zu machen. Sein Hauptanliegen ist die Provokation.“ Der kompottsurfer vermutet, dass Schnurr das anders sehen dürfte. Kein Koch der noch alle Tassen im Schrank hat, will Gäste provozieren.
Und es gab noch ein paar weitere Belobigungen:
Entdeckung des Jahres //  Jochim Busch // Gustav // Frankfurt
Sommelier des Jahres // Frank Glüer // Ess.Zimmer // München
Oberkellner des Jahres // Kathrin Feix // Il Giardino // Bad Griesbach
Patissier des Jahres // Thomas Yoshida // Facil // Berlin
Ganz oben über allen Wolken der Kritik schweben weiterhin fünf sehr bekannte Namen: Harald Wohlfahrt aus der Schwarzwaldstube in Baiersbronn, Joachim Wissler aus dem Vendôme in Bergisch Gladbach, Christian Jürgens, Überfahrt in Rottach-Egern, Klaus Erfort, aus dem GästeHaus in Saarbrücken und Helmut Thieltges, Waldhotel Sonnora in Dreis.
Was ist sonst passiert? Der Essener Fernsehkoch Nelson Müller hat erstmals 16 Punkte erreicht mit seiner Schote in Rüttenscheid. Und der aus dem Essener Weltkulturerbe Zollverein abgewanderte Bernd Stollenwerk holte in seinem neuen Zuhause, dem Nada in Köln auf Anhieb 15 Punkte. Das vom kompottsurfer kürzlich besuchte Restaurant Cielo in Dortmund erhielt 14 Punkte, eine Bewertung, die – sieht man sich andere Häuser mit gleicher Punktzahl an – vielleicht eine Spur zu hoch ausfällt.
Was bleibt? Natürlich das große Warten auf die Bekanntgabe der besternten Häuser im Guide Michelin. Nur noch wenige Tage, dann ist auch hier das letzte kleine Geheimnis gelüftet.

Gault Millau Entscheidung: Daniel Achilles wird Koch des Jahres 2014. Und Sous Vide gerät in die Kritik.

In den späten Nachmittagsstunden sickerten die in der Gastronomieszene wie immer gespannt erwarteten Entscheidungen der Gault-Millau-Redaktion für den Guide 2014 durch. Der 37-jährige Daniel Achilles vom Berliner Restaurant Reinstoff ist neuer Koch des Jahres. Begründung: „Wie er aus vermeintlich einfachen Produkten große Küche macht, das empfinden wir als im höchsten Maße zeitgemäß. Denn ein teuer eingekaufter Steinbutt schmeckt per se gut, doch weil ein Wels oder ein Petermännchen eher dem Budget eines jungen, selbstständigen Kochs entsprechen, wird hier der Mehrwert durch eigene Denkarbeit und hohen Aufwand in der Küche geleistet.“
Die anderen Auszeichnungen des Gault Millau Deutschland verteilen sich wie folgt:
Oberkellner des Jahres: Jérôme Pourchère vom GästeHaus Erfort in Saarbrücken
Sommelier des Jahres
: Markus Berlinghof vom Jacobs in Hamburg,
Restaurateur des Jahres
: Tim Raue, der in Berlin drei Restaurants mit unterschiedlichen kulinarischen Konzepten führt
Kochschule des Jahres: Franz Feckl vom Landhaus Feckl in Ehningen bei Stuttgart,
Hotelier des Jahres: Dietmar Müller-Elmau vom Schloss Elmau in Elmau (Oberbayern).
Die Höchstnote im Guide Deutschland von 19,5 Punkten erreichen vier Köche und zwar: Harald Wohlfahrt („Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn), Joachim Wissler („Vendôme“ in Bergisch Gladbach), Klaus Erfort („GästeHaus“ in Saarbrücken), Helmut Thieltges („Waldhotel Sonnora“ in Dreis bei Wittlich).
Wie immer lässt es sich die Chefredaktion nicht nehmen, zum Rundumschlag gegen Entwicklungen in der Spitzengastronomie auszuholen. Wieder einmal im Visier, die moderne Techniken. Waren es vor Jahren die Texturgeber, ist es heute das Sous-Vide-Garen: „Es gibt kaum noch Produkte, die nicht erbarmungslos in Plastik gepackt, vakuumverschweißt und ins Wasserbad gesenkt werden. Man verspricht eine sanfte Garung, bei der natürliche Aromen ebenso erhalten bleiben wie Nährstoffe und Vitamine. Im Idealfall mag das stimmen. Doch der ist bei diesem Sous vide- oder Niedertemperaturverfahren leider die Ausnahme. Von Garmisch bis Sylt werden Gäste vielmehr traktiert mit labbrig gegartem Fisch und gleichförmigem, saft- und kraftlosem Fleisch.“
Tja, das liest sich zwar provokativ, entlarvt aber eher eine üppige Portion Ahnungslosigkeit oder Ignoranz. Als ob die Technik das Problem wäre. Tss. Muss man die Herr- und Damenschaften erst einmal in einen Sous-Vide-Kochkurs schicken, damit sie erkennen, dass es bei Sous Vide nicht anders ist als bei allen anderen Aspekten, die Bausteine für ein hervorragendes Essen sind? Wer die Technik richtig einsetzt, wird immer hervorragende Ergebnisse erzielen können, wenn alles andere auch stimmt. Und zwar Gang für Gang. Wer einmal Kartoffeln oder Wurzelgemüse selbst sous vide zubereitet hat, weiß, dass die Ergebnisse in der Regel um Längen besser sind als die anderer Verfahren. Das gilt für die Aromatik wie für die Texturen. Auch viele Fleischvariationen profitieren von Sous Vide. Klar, ein Rinderfilet muss man wahrlich nicht vakuumiert garen. Genau hier reden wir von einer Ausnahme. Aber mit Differenzierungen macht man halt keine Schlagzeilen. Das muss sogar der kompottsurfer zugeben, der sich ansonsten seit Jahr und Tag von den teils bissigen Restaurantkritiken des Gault Millau durchaus gut unterhalten fühlt.

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